"Wenn Du ein Land kennenlernen willst, gehe nicht zu den Ausgrabungsstätten, sondern in die  Tavernen." Das habe er so oder so ähnlich einmal gelesen. Michael Höller hat den Spruch nur  etwas abgewandelt und ihn zu seinem Lebensmotto gemacht: "Statt Tavernen sind es bei mir eben Stadien."[Allgemeine Zeitung / Rhein Main Presse, 1.8.2015]
Tramfahrt über den Dnjepr.


Zurück an der Dnipro-Arena, entdeckte ich eher zufällig im 2. Stock eines Hochhauses den Fan-Shop des Clubs. Interessanter als die aktuelle Devotionalien- Kollektion fand ich die im Schaufenster ausgestellten Wimpel und Programme aus den Jahren, als Dnipro noch auf internationalem Parkett unterwegs war. Dennoch wanderte für 150 UAH (4,80 EUR) ein Vereinswimpel über den Ladentisch in meinen Rucksack.

Fan-Shop "12. Mann"
"Eine Stadt, eine Mannschaft."


Die Europapokalzeit des FC Dnipro ist vorbei...



Warägisches Drachenboot aus Granit! Geil!
"Dnjepropetrovsker - für immer...!


"Zusammenhalt ist unsere Kraft"



"Verteidige deine Stadt!"
Pins aus besseren Tagen...




Yuri hatte es mir angekündigt und ich hatte es kaum glauben wollen: Der Eintritt für das Spiel war für alle Besucher frei. Und trotzdem kamen nur gerade mal etwas über eintausend Zuschauer. Für eine so tolle Arena und einen so großen Verein wirklich traurig.

"Nur Dnipro!"


Zu Beginn wurde (vermutlich) die Vereinshymne und anschließend (sicher) die ukrainische Nationalhymne angestimmt. Kam gut! Die Stimmung auf den Rängen war den Umständen (leere Ränge) entsprechend OK, die kindischen Ultras zündeten zwischendurch mal ein paar Knaller. Fans vom Pillenclub aus Odessa: Fehlanzeige!

Der Kick: Laaaangweilig. Dnipro dominierte, führte zur Pause 2:0 und entschied das Match verdient für sich.


16.9.17 * SKIF Dnipro - FK Novomoskovsk  x:x * 20:00 Uhr * 1. Liga Championship Dnjepropetrovsk Oblast (7. Liga) * Stadium Trudovi Reservy, Dnipro * Zuschauer: 17 * Eintritt: frei *

Yuri hatte sich mit dem Tipp von mir verabschiedet, nach dem FK Dnipro-Heimspiel mit der Tram 12 so weit stadtauswärts zu fahren, bis ich auf der linken Seite Flutlichter sehen würde. Da könne ich an diesem Tage noch ein weiteres Match gucken. Weil ich aber an der Dnipro-Arena fast eine halbe Stunde auf die nächste 12 warten muße, kam ich erst kurz vor 20 Uhr dort an.



Der Zuschauerandrang hielt sich in Grenzen und so hatte ich eine der lustigen Tribünen, von denen aus man wohl sonst Zweikämpfe bei Ritterspielen beobachtet, für mich allein.

 


Es waren keine fünf Minuten gespielt, da wurde es um mich herum dunkel. Das lag nicht an den zuvor von mir konsumierten Getränken, sondern nur an der Stromversorgung auf der frisch renovierten Anlage. Meine Augen konnten sich nicht an die Finsternis gewöhnen und die herumschwirrenden Handylichter von den Trainerbänken gaben mir keinen Hinweis darauf, ob es weitergehen würde. So lauschte ich einfach in die Nacht hinein, harrte aus und wunderte mich zunächst über Bolzgeräusche (Ob da welche so verrückt waren, sich warm zu halten?) und Minuten später gar nicht mehr so sehr, als klackernde Stollenschuhe dicht an mir vorbeizogen, deren Träger knutschend seine Freundin im Arm durch die Dunkelheit schob.  

Meine Augen konzentrierten sich dann nur noch auf den Mann im Türmchen nebenan, der das Spiel hatte filmen wollen. Dachte mir, wenn der runterkommt, ist Schluß für heute. Aber der blieb da oben ungerührt stehen, bis ich es satt hatte und mich nach einer Dreiviertelstunde des Wartens nach draußen tastete. Das Internet verriet mir später, daß das Spiel nicht mehr fortgesetzt werden konnte.


Auf der Rückfahrt ins Stadtzentrum kam ich an einem Platz vorbei, der schon am Vormittag mein Interesse erweckt hatte. Dort standen aus heimischer Produktion Raketen verschiedener Größen herum. Kim Jong Un hätte hier wohl seine helle Freunde gehabt. Spaß beiseite! Es handelte sich um das Weltraum- raketen-Museum der Stadt, das einige seiner Exponate unter freiem Himmel ausgestellt hatte.




17.9.17 * Metalist 1925 Charkiv - Sport Club "Dnipro-1"   1:1 * 17:00 Uhr * Druga Liga "B" (3. Liga) * Stadium Metalist, Charkiv * Zuschauer: 14 521 * Eintritt: 30 UAH (1 EUR) * Anreise: mit der Bahn ab Dnipro zu 157 UAH (5,10 EUR) * Abreise: mit der Bahn von Charkiv Pass bis Kiev Pass im Nachtzug (2er Abteil) zu 925 UAH (30,06 EUR), IEV - DTM mit Wizzair zu 999 UAH (31,76 EUR) *

Auszuschlafen gelingt einem an einem Hopper-Wochenende wohl genauso wenig, wie an einem Familien-Wochenende daheim mit frühaufstehenden Kindern. Aber wenigstens konnte ich schon um 6 Uhr meinen Platz im Zug nach Charkiv belegen und weiter herumdösen.

Zwischendurch fuhr ein langer Güterzug mit Panzern, Artilleriegeschützen, Mannschafts- und Sanitätsfahrzeugen beladen in den Bahnhof von Dnipro ein und rollte nach einigem Aufenthalt weiter nach Osten. Man hätte fast vergessen können, daß nur 150 km entfernt tatsächlich eine Frontlinie verläuft.


Bahnhof Charkiv

Um 11.50 Uhr war ich dann endlich in der Stadt, von der ich bis heute nicht weiß, wie man sie (auf Deutsch) korrekt ausspricht. Scharkoff? Charko? Karkiv? Harrkoff? Ich entschied mich für Harrkiv.

Der Bahnhof ist ein wahres Schmuckstück und wartete mit einer Besonderheit auf, die mir als Nostalgiker besonders gefiel: Die Gepäckschließfächer. Ich hätte mich auch an der Gepäckaufgabe anstellen können, aber nein, es mußten die Schließfächer sein. Der Raum, in dem sie standen, sah aus, als wäre man gerade im Allerheiligsten der Russischen Zentralbank. Schließfächer wie Tresore, die dicken Türen mit je vier Ziffernwahlscheiben versehen. Aber das Geile ist, daß man zwei 15 Kopeken-Münzen aus der guten, alten UdSSR-Zeit braucht, um das Fach belegen und öffnen zu können. Diese Münzen kauft man bei der Schließfach-Aufsicht. Zuletzt hatte ich sowas 1991 am Weißrussischen Bahnhof in Moskau erlebt. Glaube, da kostete das Fach gar einen Rubel. Man steckt also die erste Münze rein, merkt sich den an der Innenseite des Tresors frei wählbaren vierstelligen Code, und drückt nach dem Verstauen des Gepäcks die Türe zu, die mit einem lauten Surren schließt. Später muß man nochmal 15 Kopeken einwerfen, um das Ding wieder zu öffnen – vorausgesetzt, man hat vorher den richtigen Code gedreht. Ich bedurfte natürlich der Assistenz des Schließfach-Aufsehers, um den Tresor zu bedienen. Allein mit dieser rustikalen Technik wäre ich aufgeschmissen gewesen.




Mit leichtem Gepäck fuhr ich nun mit der Metro raus bis Botanichnyj sad, wo sich ganz in der Nähe der LOST GROUND Burevestnik ("Sturmvogel") befindet. Mein Versuch, von Süden über brachliegendes Gelände an das Stadion heranzukommen, scheiterte zwar, doch beim zweiten Versuch aus nördlicher Stoß-richtung war es problemlos. Hätte vermutet, daß der Ground nicht mehr zugänglich sei, aber dem war nicht so.

Ein paar Jogger drehten auf der Tartanbahn ihre Runden und ein Opa führte seinen Vierbeiner Gassi. Auf dem Platz waren sicher schon lange keine regulären Spiele mehr ausgetragen worden. Und die Stehplatzränge, die sich hinter einer Kurve und einer Geraden an die Leichtathletikbahn anschloßen, boten Zuschauern keinen Platz mehr, sondern waren von Bäumen und Sträuchern ziemlich überwuchert - so wie es sich für einen schicken LOST GROUND gehört.

Stadion Burevestnik, Charkiv


Nächste Station war das intakte Dinamo-Stadion, etwa einen halbstündigen Fußmarsch vom Burevestnik entfernt. Irgendwelche Typen hatten im Inneren eine Art Meeting und so konnte ich ungestört rein und Fotos machen. Muß dabei wohl die Zeit vergessen haben, denn als ich wieder zum Ausgang spazierte, hatte der Hausmeister schon das Kettenschloß in der Hand, um das Tor abzusperren. Nicht auszudenken, wenn….

Stadion Dinamo, Charkiv

Wieder zurück ins Stadtzentrum, bis zur Metrostation Zashchitnikov Ukrainy. Dort, hinter dem Univermag-Warenhaus lag einst das Stadion „Serp i Molot“, zu deutsch „Sichel und Hammer“. Der Platz ist entweder vollkommen zugewachsen oder, wie ein Blick durch das Tor eines Baustoffhändlers vermuten ließ, zweckentfremdet. Aber das eigentliche Highlight, das mächtige Eingangstor, gab es noch und es war in einem hervorragenden Zustand.

Als ich dort stand, wußte ich noch gar nicht, welche besondere Bedeutung der Ground für die Stadt und die Ukraine einst hatte. Doch bei https://russianteam2.wordpress.com  konnte ich später interessante Details finden [hier nachzulesen unter LOST GROUNDS #71 Serp i Molot].

Stadion Sichel und Hammer, Charkiv




Das neue, zur EM 2012 gebaute Stadion von Metalist befindet sich, umgeben von reichlich Hochhäusern, an der Stelle des alten Grounds. Von dem sind immerhin die „Kassenhäuschen“ erhalten geblieben. Aber was für ein genial schönes Ensemble! Ohne lange zu überlegen, bekommen sie von mir das Prädikat „best Kassenhäuschen I had ever seen“! Wenn ein Holländer an das Metalist Stadium denkt, wird er wahrscheinlich schnell Bauchschmerzen bekommen. Drei Niederlagen in Folge bei der EURO 2012 in diesem Ground bedeutete damals das schmachvolle Aus des Vize-Weltmeisters.



Im Metalist Stadium gab es einen kleinen, unscheinbaren Shop in der Größe eines begehbaren Kleiderschranks und einen weiteren, der fast so groß war wie ein Supermarkt. Erster war Anlaufstelle für Fans des FC Metalist 1925 und letzterer wurde von Shakhtar Donezk-Supportern frequentiert. Was den Umfang und die Vielfältigkeit des Sortiments anging: Ein Unterschied wie Tag und Nacht.









Noch um 17 Uhr war es in Charkiv sommerlich heiß und so verdrückte ich mich von meinem Platz in der prallen Sonne und schob mich in den Schatten unter´s Stadiondach. Mit dabei eine schmackhaft-würzige Geflügelwurst, eingerollt in so ein Wrap-Fladenbrot. Für 50 UAH ein Schnäppchen!



Den Block der heimischen Ultras schätzte ich auf etwa 500 Mann, von dem neu gegründeten Club aus Dnipro waren gerade mal 25 Leutchen angereist. Als offizielle Zuschauerzahl wurde später 14 521 angegeben, aber lass es in Wirklichkeit höchstens mal die Hälfte davon gewesen sein. Und trotzdem war das eine herausragende Zahl. Zum Vergleich: Am Tag zuvor hatte Metalurg Zaporizhia in der selben Liga gerade mal 50 (in Worten fünfzig !) Besucher begrüßen können.


Dnipro-1: Sportclub des "Batallion Dnipro", einem 2014 gegründeten freiwilligen Kampfverband

Metalist ließ es als Tabellenführer ruhig angehen und hatte erst nach 20 Minuten mal ne Torchance. Dnipro-1 hingegen war nach dem gestrigen Sieg des Stadtrivalen FK Dnipro unter Zugzwang und spielte insgesamt auch das bessere Match. Den versenkten Elfer vor der Pause glichen die Gäste mit einem schönen Kopfball nach einer Ecke aus. Insgesamt ein unterhaltsames Event.






Vorteil eines 2er Abteils: Das Bett ist schon gemacht!

Um sieben Minuten nach 22 Uhr ging mein Nachtzug nach Kiev. Kurz vor der Abfahrt kam ne Oma an die Abteiltür und schrie lauthals "Oh... ein Mann." Geschlechtertrennung war bei der Bettbelegung nicht unbedingt vorgesehen. Die Tochter entschuldigte sich und tauschte mir ihre Mutter gegen einen männlichen Mitreisenden. Anders als in einem 4er-Abteil kann man in einem 2er seinen Mitreisenden nicht komplett ignorieren. Ich verbrachte also die Nacht mit einem ziemlich betrunkenen Ukrainer namens Igor. Er verstehe nur "...litte English...". Etwa eine Viertelstunde versuchte er noch, seine Kenntnisse zu aktivieren, starrte dabei nachdenkend an die Decke, rieb sich am Kopf... und gab es auf. Sehr schade!


18.9.2017

Nacht und Zugfahrt waren am nächsten Morgen schon um 6:23 Uhr beendet. Nicht jedoch meine LOST GROUND-Mission. Ohne Frühstück sprang ich in die Metro und fuhr bis Lukianivska. Ich muß wohl ziemlich dösig gewesen sein und eine fast vollständig fehlende Straßenbeschilderung tat ihr übriges dazu, daß ich trotz Umgebungsplan planlos durch die Gegend rannte. Dabei war mein Ziel, das einen Mythos umgebene Stadion "Start", gar nicht so weit entfernt gewesen.

Stadion Start, Kiev
Ausschnitt aus dem Spielplakat von 1942.


An einem frischen Morgen mitten in der hektischen Großstadt diese Oase der Ruhe zu finden und dabei über wahrlich historischen Boden zu latschen, war schon etwas ganz Besonders und somit der würdige Abschluß einer tollen Hopping-Tour!

Wäre da nicht noch die Sache mit dem Trolleybus 22 gewesen. Auf ein Taxi verzichtend, wollte ich eben mit diesem Bus zum Flughafen kommen. Laut Plan fährt der von der Metrostation Dorohozhychi bis zum "Aeroport Kiev". So saß ich also im Bus und dieser zuckelte gemächlich durch die morgendliche Rush Hour und ich wunderte mich schon ein wenig, wieso denn keine Flugreisenden mit Koffern usw. einstiegen. Als der Trolleybus plötzlich anhielt und alle ausstiegen, glaubte ich fest daran, in einer Zeitmaschine gesessen zu haben. Denn zweifelsohne stand ich vor dem Aeroport Kiev, doch der schien so ziemlich aus der Zeit gefallen zu sein. Tippte auf Sowjetunion 1960er Jahre. Hier war ich vor vier Tagen niemals angekommen und der Flughafen Borispol sah in meiner Erinnerung auch anders aus. Ziemlich verdattert fragte ich einen Taxifahrer, der außerhalb des Geländes stand, wo denn der Flughafen Zhulanyi geblieben sei. Verständnislos winkte er in Richtung vorwärts... und keine 10 Minuten später stand ich am richtigen Terminal. Ich war einfach nur an einem bedeutungslosen Nebengebäude des Flughafens gelandet, das früher vermutlich mal das Hauptterminal gewesen war. Eine Frechheit, mit so einem mangelhaften Verkehrsmanagement einen unbedarften Flugreisenden so zu erschrecken...

Idyllischer LOST GROUND.


Kiev Airport. Oder doch nicht?


ENDE