Um 18 Uhr ist für die Reisegruppe Treffpunkt in der Eingangshalle des Hotels. Ich treffe wieder auf die Jungs aus Qinhuangdao, lerne die anderen Ground-hopper (u.a. viele Anhänger des FC Bayern, prima!) und die zwei Guides kennen, die uns in den nächsten Tagen begleiten werden. Der ältere von beiden ist 45 und war kurz vor der Wende einige Monate als Übersetzer in Ost-Berlin und spricht gutes Deutsch. Der jüngere ist oft nur schwer zu verstehen - nicht nur weil er typisches Lehrbuch-Deutsch spricht, sondern weil er vermutlich nur selten Muttersprachler hat sprechen hören. Auf meine Frage, ob die beiden immer zusammen arbeiten würden, erfahre ich, daß die Zweier-Teams stets wechseln. Hätte mich auch gewundert.
Zum Abendessen fahren wir im Bus zu einem "Hot Pot Restaurant". Rohe Zutaten warten darauf, in einen Topf kochendes Wasser, den ein jeder an seinem Platz stehen hat, geworfen zu werden. Das Ergebnis ist genießbar. Etwa 20% der in den nächsten Tagen servierten Speisen stufe ich als "essbar" ein. Eine bessere Quote hatte ich nicht erwartet, weshalb ich im Gepäck ausreichend Material aus Deutschland zur Erfüllung meines natürlichen Kalorienbedarfes mit- führe. Einige der Kellnerinnen erweisen sich als durchaus gesangstalentiert und geben zwei, drei Lieder auf Koreanisch zum Besten.
Damit ist der Abend noch nicht gelaufen. Als Zugabe geht es zum "Beer Festival" an den Taedong River, der Pjöngjang durchfließt. Dieses Event findet erst zum zweiten oder dritten Mal statt, hat ein bisschen was von Oktoberfest und gehört garantiert nicht zu den landestypischen Festivitäten. Es dürfte ein Beispiel dafür sein, daß Kim Jong Un etwas für das Volksvergnügen im Lande tut. So gibt es einige Freizeitparks mit durchaus konkurrenzfähigen Achter-bahnen und mit der Moranbong Band hat man fünf Damen sehr populär werden lassen, die eher sexy & modern denn traditionell daher kommen. Guckst Du: Moranbong
Der Reiseveranstalter hatte empfohlen, sich mit reichlich Kleingeld (50 Cent, 1 und 2 EUR-Münzen) auf den Weg zu machen. Warum, wird jetzt klar: Der Eintritt auf das Festival-Gelände kostet 2,50 EUR, alternativ auch in US-Dollar oder Yuan zahlbar. Praktisch, wo man noch gar keine Möglichkeit hatte, nord- koreanischen Won einzutauschen *Ironie!*. Die Preise sind zwar alle stets in Won angegeben, akzeptiert wird von Ausländern aber nur harte Währung. Der "offizielle Umrechenkurs" liegt bei etwa 150 Nordkorea-Won für einen Euro.
Merkwürdigerweise bezahlen auch die Einheimischen hier nicht mit Won, sondern in US-Dollar. Das es in Nordkorea tatsächlich so eine Art Mittelschicht gibt, mag verwundern, aber wir sehen sie hier leibhaftig an Biertischen sitzen und sich prächtig amüsieren. Junge Damen treten zumeist im Rudel auf und sind überraschend modisch gekleidet. Nicht wenige der Herrschaften sind schon "breit" und schwanken durchs Gewimmel. Diese Leute haben Handies und Devisen und treten selbstbewußt auf. Es können Geschäftsleute, Menschen mit Verwandten in China oder mit anderem Zugang zu Ausländern, Leute mit Fremdsprachen-kenntnissen oder anderen gefragten Fähigkeiten sein.
Beim Bier haben sich die Brauer nicht die Mühe gemacht, klangvolle Namen zu finden, sondern die Sorten einfach durchnummeriert. Die Biere Nr. 1 bis Nr. 5 unterscheiden sich im Gerstengehalt und dementsprechend proportional im Preis. Am besten solle Bier Nr. 2 schmecken, sagt man. Ich kann es nicht über- prüfen. Wer will, kann sich einen Liter Bier in einen bayrischen Maßkrug füllen lassen. Original oder Fälschung? Die Kellnerinnen tragen ein Outfit, daß an Stewardessen denken läßt. Vielleicht schieben sie ja tagsüber an Bord von Air Koryo Litschisaft durch den Flieger. Auf der Speisekarte stehen so Sachen wie Potato Chips oder Barbeque Beef Steak. Es wird das letzte Mal sein, daß wir in Nordkorea Western Food sehen werden.
In der Nacht zappe ich auf dem Hotelzimmer noch etwas durch die TV-Programme. Es gibt einige chinesische Sender und natürlich auch Landesfernsehen. Schade, daß ich nicht verstehen kann, was man sich in einer nordkoreanischen Daily (?) Soap so erzählt. Aber Liebe, Herz und Schmerz dürften auch hier Zutaten sein, die nicht fehlen können.
19.8.16 (9. Tag)
Ryongnamsan - Sobaeksu 0:1
Der Speisesaal im Koryo ist etwas schwer zu finden. Zu allem Überfluß gibt es zwei davon, direkt übereinander. Einer nobel, der andere sehr nobel eingerich- tet. Frühstücken darf ich zumeist nur in dem noblen Saal, manchmal aber auch in dem sehr noblen Saal. Das scheint alles genau festgelegt zu sein. Ebenso wie die Tische, an die man sich setzen darf. Koreanisches Frühstücksbuffet sieht nicht ganz so schmerzhaft wie chinesisches Frühstücksbuffet aus. Ich gebe mich mit Spiegelei und Brötchen (Plural) zufrieden. Kaffee muß man extra ordern, kostet 1 EUR die Tasse.
Erster Programmpunkt des heutigen Tages ist gleichzeitig der wichtigste der gesamten Tour: Ein Fußballspiel im Sosan Stadium, Anstoßzeit: 9 Uhr. Morgens!
Busabfahrt: 8:30 Uhr, nach knapp einer Viertelstunde sind wir, 16 deutsche Hopper und zwei Fußballinteressierte aus Österreich mit unseren Guides und einem Kameramann (der uns den Tag über begleitet um eine anschließend käuflich zu erwerbende DVD zu produzieren) am Ground.
Der aushängende Spielplan des Turniers ist für uns ziemlich nichtssagend. Wenn ich das richtig verstanden habe, gibt es in Nordkorea keinen Ligabetrieb, sondern die Meisterschaft wird in mehreren über das Jahr verteilt stattfinden Turnieren entschieden. Das jetzt laufende Turnier ist der Torch Cup. Die teil- nehmenden Mannschaften sind Sportgruppen von Ministerien oder großen Industriebetrieben. Die Namen der beiden Teams, die wir sehen werden, muß ein Guide langsam buchstabieren - fast alle schreiben mit. Vermutlich gehören die nicht zu den Favoriten. Das wären z.B. April 25 oder Amrokgang, die in den letzten Jahren öfter mal Meister geworden sind - sofern diese Informationen überhaupt nach "draußen" gedrungen sind. Die Titelträger zwischen 1960 und 1984 sowie von 2012 sind dagegen völlig unbekannt.
Nach unserer Ankunft werden wir ziemlich bald ins Stadioninnere auf die Haupttribüne geführt und unterhalb der mutmaßlichen Ehrentribüne platziert. Der Guide erklärt uns, daß wir während des Spiels hier sitzen bleiben sollen. Der "Betreiber" erlaube es nicht, daß wir herumlaufen und Fotos machen. Von unser- en Plätzen aus jedoch könnten wir fotografieren was wir wollten.
Die Mannschaften kommen auf den Rasen und ohne irgendwelche Durchsagen vom Stadionsprecher oder gar dem Abspielen der Nationalhymne geht es los. Trotz der äußerst ungewöhnlichen Anstoßzeit finden sich etwa 80 Einheimische ein. Die sitzen hinter uns rechts oben in einem Block, so daß wir sie während des Spiels eigentlich gar nicht sehen können. Bloß keine Annäherung riskieren!
Es versteht sich fast von selbst, daß es weder Programmhefte noch Schals oder Fahnen der Mannschaften zu kaufen gibt. Aber Eintrittskarten! Die beiden Österreicher waren mit vier anderen Hoppern schon am Vortag bei einem Spiel hier im Stadion gewesen und sind irgendwie zu Tickets gekommen... Die sehen sooo geil aus, daß alle, die heute zum ersten Male hier sind, neidisch gucken. Gleich werden die Guides bearbeitet, daß wir auch solche Karten haben wollen. Unbedingt! Ob die es noch nicht begriffen haben, daß wir eigentlich NUR wegen Fußball hier sind und Eintrittskarten nun mal UNVERZICHTBAR für einen Trip dieser Art sind? Der ältere Guide verspricht beiläufig, er versuche welche zu besorgen. Klingt nicht sehr vielversprechend...
Obwohl der Tag gerade erst begonnen hat, ist es schon drückend schwül und heiß. Die "Suppe" läuft einem von ganz allein den Rücken herunter. Nun dürfen wir uns doch von den Plätzen erheben und zu einem Kiosk im Inneren der Haupttribüne wandern, wo es Saft oder kalten Kaffee in Dosen zu kaufen gibt. Gegen Euro, versteht sich!
Langsam sickert durch, daß das zweite Spiel, das wir irgendwann während der nächsten vier Tage hätten sehen sollen, verschoben worden ist. Der Besuch eines Ersatzspieles scheint nicht vorgesehen zu sein. Aber so klar sagt das unser Guide nicht. Auf Hinweise aus unseren Reihen, daß laut aushängendem Spielplan um 11 Uhr schon das nächste Spiel läuft oder um 18 Uhr am nächsten Tag ebenfalls ein Match angesetzt ist, gehen die Guides nicht ein. Da die Begegnungen alle im Sosan Stadium ausgetragen werden, verpassen wir wenigstens keinen zweiten Ground, sondern lediglich einen weiteren Kick.
Die Stimmung im 42 000 Zuschauer fassenden Sosan Stadium ist dank der Auslastung von unter einem Prozent wie bei einem Geisterspiel. Wohl wegen der noch nicht ganz überwundenen Zeitumstellung fallen mir hin und wieder die Augen zu. Daran kann auch der kalte Kaffee aus der Dose nicht helfen. Das Spiel jedenfalls ist unschuldig an meiner Schläfrigkeit, denn es ist für mein Empfinden ganz in Ordnung.
Nordkorea ist wahrscheinlich das einzige Land weltweit, in dessen Straßenbild nicht die geringste Spur von Werbung zu finden ist. Warum auch sollte für irgendein Produkt in der Bevölkerung eine Nachfrage erzeugt werden? Umso merkwürdiger, daß es um das Spielfeld herum tatsächlich Bandenwerbung gibt. Ich kann zwar immer noch kein Koreanisch, aber die wenigen Wörter in lateinischer Schrift ("Naegohyang" = Tabakfabrik ?; "Royal Blood-Fresh" = Gesund- heitsmittelchen auf Kräuterbasis oder so ähnlich) lassen keinen anderen Schluß zu. Doch wer ist die Zielgruppe für diese Werbung?
Bis kurz vor Schluß steht es 0:0. Während ich einen kurzen Ausflug zu den Waschräumen einlege, fällt prompt das Tor des Tages für die Gäste. Wie immer...! Dank des fleißig filmenden Kameramannes kann ich mir den Treffer noch später daheim am PC zu Gemüte führen. Interessant sind die seltenen akustischen Regungen des für uns unsichtbaren Publikums, das ganz hinter Ryongnamsan steht und mit dem Endergebnis nicht zufrieden sein wird.
Nach dem Abpfiff geht es mit dem Länderpunkt Nordkorea in der Tasche hopp-hopp in den Bus. Dort zückt der Guide elf Eintrittskarten, verteilt sie an die- jenigen, die noch keine haben und erklärt zu unserer Verwunderung, er habe den Busfahrer losgeschickt, um heimlich welche für uns zu kaufen. Der Grund für diese konspirative Aktion: In Nordkorea hat fast alles zwei Preise, den für Einheimische (gering) und den für Ausländer (sehr hoch). Da bisher kaum Ausländer im Sosan Stadium Fußball gucken wollten, hatte die Bürokratie des Landes noch keinen offiziellen Eintritt für Ausländer festgelegt und somit konnte es für uns keine Tickets geben.
Betriebsführung in der Pyongyang Sports Apparatus Factory. Hier werden verschiedene Bälle und Boxhandschuhe hergestellt. Ob der Fußballschuh mit den drei Streifen was mit Adidas zu tun hat??? Die vom Werksleiter angegebene Tagesproduktion an Bällen erscheint uns Besuchern angesichts der Kapazitäten etwas sehr hoch angesetzt und die Qualitätskontrolle durch Dauerbelastung erinnert an die Stiftung Warentest. Wie Boxhandschuhe geprüft werden, blieb offen. Marschall Kim Jong Un war etwa 10 Wochen vor uns auch da und gab die so typischen "Anleitungen". Immer dabei: Die fleißig in ihre Notizbüchlein schreibenden Funktionäre.
Besuch in der Pyongyang International Football School, die es seit 2013 gibt. Das gerahmte Bild mit Marschall Kim Jong Un hätte ich nicht fotografieren sol- len... die Anweisung kam zu spät. Löschen muß ich das Foto aber nicht. In dem Internat werden die besten 200 Jungs und Mädchen des Landes zwischen 10 und 14 Jahren ausgebildet. Wir machen eine kurze Führung durch das Gebäude.
Ein ziemlich steril wirkender Raum mit Tischen, Stühlen und Bücherregalen wird uns als eine Art Freizeitraum für die Jugendlichen präsentiert. Die Bücher haben seltsamerweise alle die gleiche Größe. Als einer von uns versucht, ein Buch herauszuholen, merken wir, daß die Bücher zusammengeklebt sind. Bloße Attrappen also!
Eine Repräsentantin der Schule erklärt uns, daß das Dach im Hof der Fußballschule auf eine "Anweisung" von Kim Jong Un zurück geht. Die Idee wurde um- gehend realisiert. In einem kleinen Laden können wir für je 30 EUR Trikots der Fußballnationalmannschaft erwerben. Kein Wunder eigentlich, daß es keines in meiner Größe gibt...
Anschließend sieht das Programm vor, daß sich die deutschsprachigen Gäste mit Jungs aus dem Internat duellieren. Sieben tapfere Helden finden sich aus unseren Reihen - warmen Regens und hoher Luftfeuchtigkeit zum Trotz. Lieber hätte man das nebenan liegende Stadion des 1. Mai in Augenschein genom- men, aber da finden gerade Vorbereitungen für irgendwelche Jugendspiele statt. Um uns (ich selbst spiele natürlich nicht mit) eine Packung zu ersparen, wird uns als Verstärkung ein Torhüter der Nordkoreaner zugeteilt. Viel bekommt der nicht zu tun. Das Team des Trainers im DFB-Trikot bewegt sich kaum und läßt jeglichen Körpereinsatz vermissen. Ob eine Anweisung des Trainers oder mangelnden Können dahintersteckt - wir werden es nie erfahren. In der zweimal 15 minütigen Partie erkämpfen sich die Fanblöcke aus Erfurt, München und Wien ein verdientes Remis. Zum Abschluß gibt es noch ein Gruppenfoto, das ausgepumpte Groundhopper und blickscheue, scheinbar emotionslose Jugendkicker zeigt. Ein Sport, zwei Welten.
Besuch am Großmonument Mansudae. Die Bronzefiguren des "Ewigen Präsidenten" und des "Generalsekretärs" sind 20 m hoch und die größten ihrer Art im Lande. Einmal im Jahr, so unser Guide, gehe man dort mit Arbeitskollegen hin und lege Blumen nieder, um Kim Il Sung (Nordkoreaner sprechen den Namen zusammenhängend aus, klingt dann wie "Kimmillsung") und Kim Jong Il zu ehren.
Dem Guide ist es sichtlich unangenehm darauf hinzuweisen, daß von den ausländischen Besuchern erwartet wird, sollten sie zu dem Monument gehen wollen, sich vorher für 5 EUR einen Strauß Blumen zu kaufen und diesen dann vor den Statuen abzulegen und sich zu verbeugen. Das sei aber freiwillig! Wer nicht möchte, solle am Bus bleiben und warten.
Letztendlich sind doch alle hingegangen, mit oder ohne Blumen. Vater und Sohn dürfen nur vollständig fotografiert werden, Ausschnitte sind verboten! Selfies machen usw. dagegen ist kein Problem! Nach ein paar Minuten bekommt einer der Guides wohl ein Zeichen, daß wir die "Bühne" frei machen und verschwinden sollen. Eine größere Personengruppe Einheimischer ist im Anmarsch.
Kann mir durchaus vorstellen, daß der Guide von seinem Chef was zu hören bekommen wird, warum einige der Ausländer keine Blumen dabei hatten und sich nicht verbeugt haben. Das die Gespräche zwischen ihm und seinem Chef nicht immer freundlich ablaufen, hat einer der Guides mal durchblicken lassen. Zum Ende der Reise wird unter den Touristen ja keine Umfrage gestartet, wie ihnen die Tour gefallen hat. Daher dürfte der Punkt der Kundenzufriedenheit in solchen Gesprächen nicht relevant sein. Aber was sonst? Die Disziplin der Reisenden gehört ganz bestimmt dazu. Hatten mitbekommen, daß bei der ersten Tour vor einem Jahr sich einer der Teilnehmer ziemlich daneben benommen hat und so die Guides ziemlich in Verlegenheit brachte.
Zurück zum Großmonument Mansudae. In der Grünanlage sind ein, zwei Frauen Rasenpflege beschäftigt: Sie rupfen per Hand Unkraut. An einer Treppe sind zwei Männer mit der Reinigung der Steinplatten beschäftigt. Auch sie haben - abgesehen von zwei Steinen, mit denen sie an der Treppe entlangscheuern, keinerlei Werkzeug. Es sind nicht die einzigen Beispiele dafür, daß es in Nordkorea vor allem an Equipment mangelt, nicht jedoch an Manpower.