9. Tag (Sonntag)
Nach dem Frühstück fahre ich im Bus zum nahegelegenen Bahnhof Dushanbe 1 und klettere über die Bahnhofsbrücke auf die andere Seite der Gleise. Dort wird ein großer Markt abgehalten, wo nicht nur Lebensmittel und Kleider, sondern auch gebrauchte Werkzeuge, Ersatzteile und ziemlich viel Schrott angeboten werden. Mein Ziel ist das kleine Stadion der Eisenbahner, das aber leider nicht zugänglich ist. Dafür finde ich in eine alte Dampflok vor dem Eisenbahn-Museum, ein tolles Fotomotiv.
26.06.2022 * Istiklol Dushanbe – Ravshan Zafarashad 7:0 * 17:30 Uhr * 1. Liga * Stadion Central , Hissor * Eintritt: frei * 66 Zuschauer
Die website von Istiklol Dushanbe bestätigt am Morgen, daß die erste Mannschaft um 17:30 Uhr im Stadion von Hissor auf Ravshan Zafarashad trifft. Das ist prima, so ein Spiel der ersten Liga in einem neuen Ground nehme ich natürlich gerne mit.
Gegen 16 Uhr angele ich mir nach dem Zufallsprinzip an der Straße ein Taxi. Der Fahrer versteht nur Russisch, aber dank meines gxxxgle maps-Ausdruck versteht er genau, wo ich hinwill. Als ich ihm 300 Somoni in Aussicht stelle, willigt er sofort ein. Er ist etwas nervös, aber nett und freundlich. Unterwegs beginnt er einen Sprachunterricht: Was heißt Berg, Kuh, Esel auf Tadschikisch, Russisch und Deutsch…
Nach gut einer Dreiviertelstunde sind wir in Hissor am Ground. Der liegt außerhalb der Stadt ziemlich in der Pampa. Da ich nachher keine Lust hab, stundenlang herumzulaufen und nach einem Taxi zu suchen, vereinbare ich mit ihm, dass er mich nach dem Spiel hier wieder abholt und zurück nach Dushanbe fährt. Bei der fürstlichen Bezahlung ist das natürlich kein Problem.
Noch ist außer dem Platzwart keine Menschenseele da. Der Mann bestätigt, dass hier in einer Stunde ein Spiel stattfinden wird. Erleichterung! Trotz aller Ankündigungen kann man sich in solchen Ländern erst dann sicher sein, ein Spiel zu sehen, wenn es angepfiffen wurde. Ich umrunde den Ground und gehe an der im Schatten liegenden Haupttribüne rein. Es ist noch richtig heiß und ich habe nur eine warme Cola dabei. So ist das, wenn man seinem Taxifahrer eine Flasche Wasser spendiert und seinen eigenen Bedarf dabei falsch einkalkuliert hat. Das wird ein hartes, trockenes Spiel.
Im Stadion wuselt schon ein Kamerateam herum, ein paar Offizielle machen sich wichtig und ein einsamer Istiklol-Spieler wärmt sich in Zeitlupe auf – um nachher in der schattigen Sprecherkabine zu verschwinden. Es tut sich verdächtig wenig. Irgendwann verteilt ein Typ gelbe Käppchen auf dem Rasen für das Aufwärmtraining. Mein Gefühl bestätigt sich, dass das Spiel nicht – wie geplant, um 17:30 Uhr anfangen wird. Nochmal irgendwann später beginnt Istiklol sich warmzumachen, dann kommen die Schiris und um 17:50 Uhr ist endlich was vom Gegner zu sehen. Um 18:30 Uhr kann es nach dem Abspielen der Nationalhymne dann endlich losgehen.
Istiklol Dushanbe ist seit 2014 ununterbrochen tadschikischer Meister, jedoch derzeit nur auf dem 6. Tabellenplatz der 10er Liga. Gegner Ravshan ist Letzter.
Kein Support, nix zu essen und vor allem keine Getränke. An eine Gruppe kleiner Jungs verteile ich Müsliriegel. From Germany? werde ich gefragt. Yes! Jetzt prügeln sich die kids fast um die Dinger.
Die Partie ist erwartet einseitig auf erwartet niedrigem Niveau. Nach der Pause brechen die Gäste ein und kassieren insgesamt sieben Treffer. Ich bin sehr froh, dieses große Stadion außerhalb der Hauptstadt gekreuzt zu haben. Bisher war wohl kaum einer aus der nationalen Hopperszene hier am Start.
Mein Taxifahrer hat die ganze Zeit am Stadion auf mich gewartet und geschlafen. Für ihn ist es kein Problem, daß wir erst eine Stunde später als geplant zurückfahren.
An der nächsten Tanke bekommt das Auto eine Tankfüllung Gas, der Fahrer geht auf den Gebetsteppich und ich entnehme dem sonst leeren Kühlschrank die vorletzte Dose „Gorilla“. Aahhhh! Der Tankwart fragt nach Schröder? Na ja, meine ich, Merkel war besser. Ja, Merkel war gut, bestätigt er.
10. Tag (Montag)
Der Vormittag wird wieder zum Groundspotting genutzt. Diesmal visiere ich das Aviator Stadium an. Der Platzwart läßt mich rein, obwohl er zunächst Bedenken hat, daß ich fotografieren will. Wegen der strategischen Lage, der alte Flughafen liegt direkt nebenan. Aber dann geht es doch in Ordnung. Am Rande des Sportplatzes steht ein altes Fluggerät. Vielleicht werden damit untaugliche Trainer oder Spieler zum Mond geschossen.
27.06.2022 * FC Altyn Asyr – FC Neftchi Kochkor-Ata 1:0 * 19:00 Uhr * AFC-Pokal, Gruppenphase * Republican Central Stadium, Dushanbe * Eintritt: Tageskarte Kat. 2 zu 25 Somoni (ca. 2,45 EUR) * 801 Zuschauer
Heute ist der Stadionbesuch schon Routine. So verlasse ich erst eine Stunde vor Anpfiff der ersten Partie das Hotelzimmer. Ich will schnell noch ein paar kleine Somoni-Scheine ziehen. Doch in Tadschikistan geht den ATMs relativ häufig mal das Geld aus. Nach dem achten (!) Gerät ohne Cash gebe ich auf und mache Kassensturz: Die Kohle reicht gerade noch für ein Ticket Cat. 2, maximal ein lebensnotwendiges Getränk und evt. sogar noch für ein Taxi zum Hotel. Ab in Trolleybus 10 und zum Ground.
Wie vor ein paar Tagen sind wieder nur etwa 80 Zuschauer beim ersten Spiel des Tages. Ende der ersten Hälfte fällt für etwa 5 – 8 Minuten die Flutlichtanlage aus. Da ist es noch hell genug, um weiterzuspielen. Die Turkmenen sind stärker als die Kirgisen und folgerichtig geht der Sieg an Altyn Asyr.
27.06.2022 * CSKA Pamir Dushanbe – Sogdiana Jizzakh 2:3 * 22:00 Uhr * AFC-Pokal, Gruppenphase * Republican Central Stadium, Dushanbe * 6 300 Zuschauer
Auch heute marschieren wieder dutzende Verbände der einheimischen Streitkräfte ein. Im Stadion gibt es drei schwarzafrikanische Besucher, die von den Soldaten und kleinen Kindern nicht unentdeckt bleiben. Laute Rufe und Sprüche werden in deren Richtung abgelassen. Ich verstehe nix, doch freundlich klingt das gar nicht.
Schon beim Aufwärmen von CSKA unterstützen die Soldaten lautstark ihr Team. Diesmal sind die Jungs mit Fahnen ausgestattet und ein ziviler Vorsänger ist mit dabei. Sogdiana Jizzakh hat wieder seine 20 – 30 Mann im Schlepptau, die schon nach drei Minuten ihr Team feiern können: 0:1. Mit zunehmendem Spielverlauf werde ich zunehmend genervter. Zwar ist das Spiel interessant und torreich. Aber der Vorsänger von CSKA geht mir total auf den Sack. Fast ohne Pause animiert er die Soldaten, ihm sein blödestes Gejohle nachzumachen (was die dann auch tun). Mit „Hey joh!“ oder „Olé olé olé olé…“ könnte man hierzulande allenfalls noch Vorschulkinder begeistern. Aber Angehörige einer Armee….? Ich empfinde das alles furchtbar peinlich. Hoffentlich machen sich die Jungs bei der Landesverteidigung nicht genauso lächerlich, wie heute Abend im Stadion. Ich muß die allerletzten Somoni zusammenkratzen, um mir ein Taxi zum Hotel nehmen zu können.
11. Tag (Dienstag)
Privatfahrt im SUV von Dushanbe nach Termiz * 2x ÜF im Hotel Asson, Termiz, Usbekistan zu je 43 EUR
Schon eine Stunde vor der geplanten Abfahrt nach Termiz trifft mein Fahrer am Hotel ein. Leider ist es nicht Firdavs, mein Chauffeur von der ersten Tour, sondern ein anderer namens Mohammed. Zuerst fahren wir kurz bei Firdavs vorbei, der mit Frau Nr. 1 nach Moskau fliegen will, damit wir uns voneinander verabschieden können (und ich ihm noch etwas Trinkgeld zustecken kann). Ich habe Fardavs richtig lieb gewonnen, ein toller Typ.
Mohammed spricht gar kein Englisch und so reden wir während der Fahrt kaum miteinander. Unterwegs versuche ich ihm klar zu machen, daß ich in der Stadt Tursunsoda das Metallurg Stadion sehen möchte. Er kapiert es einfach nicht. Als er meine gxxgle Karte sieht, tut er so, als sähe er sowas gerade zum ersten Mal.
An der Grenze sind wir schnell durch, da kaum jemand vor uns ist. Eigentlich muß man ja mit seinem Gepäck als Fußgänger durch die Grenzposten, damit die mitgeführten Sachen kontrolliert werden können. Ich lasse alles im Wagen und überlasse es Mohammed, sich darum zu kümmern. Nur mit Reisepass und Fotoapparat spaziere ich durch. Funktioniert einwandfrei. Keine Viertelstunde später kommt Mohammed mit Auto nach. Scheinbar ist er zum ersten Mal an dieser Grenze.
Die Fahrt geht auf gut geteerten Straßen durch flaches Gelände weiter. Nach Denov tauchen riesige Schlammhügel (?) auf, die aus der Ferne wie Sanddünen aussehen. Mohammed nimmt eine andere Route als die, die ich erwartet habe, so dass mir noch weitere Grounds flöten gehen. Dafür muss er spontan an drei anderen Stellen stoppen, an denen jeweils ein interessantes Stadion erspäht habe.
Je weiter wir nach Süden kommen, umso heißer wird es. Das ist keine wirkliche Überraschung. Nach insgesamt 7 Stunden fahrt sind wir am Ziel und Mohammed lädt mich am Asson Hotel in Termiz ab. Es ist die beste Absteige während meiner Tour: Nobel eingerichtet, gutes Zimmer und essbares Frühstück.
Erste Aktion in Termiz: Ne Besuch im Zoo! Wie vorhin schon erwähnt, hatte ich mal irgendwo aufgeschnappt, dass man von dort einen guten Blick auf Afghanistan haben soll. Daher hatte ich erwartet, der Zoo liege auf einer Anhöhe o.ä. Mitnichten! Alles nur flaches Gelände und die Zoomauern lassen keinen Blick auf die direkt dahinter verlaufende Grenze zu.
So hab ich Zeit, mich den armen Kreaturen zu widmen. Einige Gehege oder Käfige sind ganz leer oder nur mit 1 oder 2 Tieren bestückt. Ein Sibirischer Tiger dürfte das Prachtexemplar des Zoos sein. Eine Frau quatscht mich an und fragt, wo ich herkomme. Aus Deutschland! Antworte ich auf Russisch. Worauf sie auf Deutsch antwortet „Hände hoch!“ und in schallendes Lachen ausbricht. Ja, das kenne ich schon. Gewisse Phrasen überdauern Ewigkeiten.
Vom Zoo laufe ich einige Straßen weiter bis zum Alpomish Stadion. Früher soll hier Surkhon Termiz gespielt haben. Jetzt findet hier nur noch Freizeitsport und Jugendfußball statt.
Bepackt mit literweise Wasser und anderen Getränken treffe ich in meinem Hotelzimmer ein und muss mich unter der Aircon runterkühlen.
Behruz von Termiz Travel meldet sich via whatsapp. Bei ihm hatte ich eine Tagestour in die Umgebung von Termiz am übernächsten Tag gebucht. Ob ich gut angekommen sei? Ja, bin ich.
Ich frage, ob man zur Afghanistan Uzbekistan Friendship Bridge am Grenzposten Hayratan am fahren könne, um evt. aus der Ferne ein paar Fotos zu machen. Immerhin ist diese Brücke ein geschichtsträchtiger Ort. Sie wurde 1982 während des Krieges der Sowjetunion mit Afghanistan gebaut, um u.a. eine Zugverbindung Termiz – Kabul zu errichten. Mehrfach wurde die Brücke von Mudschaheddin angegriffen und auch westliche Kräfte haben versucht, die Brücke zum Schaden der UdSSR zu zerstören. Am 15. Februar 1989 passierte im Rahmen des militärischen Rückzuges aus Afghanistan die letzte sowjetische Kolonne diese Brücke. Ich kann mich noch gut an die Fernsehbilder dieses Ereignisses erinnern. Nein, daß ist völlig unmöglich, antwortet mir Behruz, ohne mir eine Begründung zu liefern.
Ich texte ihm, dass ich morgen zum Fußball will. Meint er: Kein Spiel in Termiz, Surkhon spiele wegen Bauarbeiten im eigenen Stadion in Tashkent. Ich verifiziere seine Info und würde am liebsten kotzen. Da fahre ich diesen weiten Weg für dieses eine Spiel und dann diese Scheiße!
Am Abend fällt der Strom aus und ich bleibe einfach, so wie ich bin, auf dem Bett liegen und schlafe ein.
12. Tag (Mittwoch)
Nach dem Frühstück lasse ich mich zum Stadion fahren und umkreise es einmal. Die Security lässt mich rein, deutet aber an, dass ich doch besser heute am Abend um 19 Uhr kommen solle. Da wäre ein Spiel. Ja, heute wird gespielt, stimmt ein zweiter Mann mit ein. Hoffnung keimt bei mir auf. Egal was ist, ich werde heute um 19 Uhr wieder hier sein. Bin gespannt, ob und was dann hier los ist.
Termiz ist brutal. Es gibt viele neu angelegte Straßen und Häuser. Alle stehen gerade in einer Reihe und sich in riesigen Abständen gegenüber. Entlang der Straßen kein Baum, einfach nichts. Nirgends der kleinste Schatten. Eine Horrorstadt: Emotional kalt und gleichzeitig brutal heiß!
Ich fühle mich trotzdem ganz gut und will nun wissen, wie nahe man an die Friendship Bridge herankommen kann. Der Grenzübergang ist (vermutlich wegen der Flüchtlingskrise) geschlossen und so wird es dort keinen Verkehr geben. Vom Surkhon Stadion gehe ich los, immer am Amu Darya entlang nach Nordosten. Wegen der 45° C im Schatten bin ich langsam und bedächtig unterwegs.
Ich verlasse Termiz und der Weg scheint kein Ende zu nehmen. Ich durchquere mehrere Ortschaften. Jetzt endlich kann ich ganz hinten in der Ferne die lange, weiße Freundschaftsbrücke sehen. Die Tankanlagen dahinter gehören schon zu Afghanistan. Ich hab jetzt 10 km Fußmarsch hinter mir, die Mittagssonne knallt und ich stehe mitten in der Pampa. Auf die Brücke selbst komme ich sowieso nicht, da bin ich mir sicher. Ich entscheide, daß mein Ziel als erreicht gilt und drehe ab. Bin stolz auf meine Wanderleistung.
Mit einem Taxi, auf das ich hier etwas länger als sonst üblich warten muß, geht es zurück zum Hotel, wo ich mich unter der Klimaanlage runterkühlen muss… bis diese wegen erneutem Stromausfall ausschaltet.
29.06.2022 * Termiz City – NASAF Qarshi 2:1 * 19:00 Uhr * Amateure * Stadion Surkhon , Termiz * Eintritt: frei * 100 Zuschauer
Um 18:30 Uhr mache ich mich in einer Mischung von Hoffnung und Verzweiflung wieder auf zum Stadion Surkhon. Ob Surkhon nun doch kurzfristig sein Heimspiel im eigenen Stadion austragen wird?
Nein, die Situation vor Ort läßt mich schnell zu dem Schluss kommen, das das nicht der Fall sein wird. Aber irgendwelche zwei Mannschaften werden hier gleich spielen. Und es werden weder Frauen noch Kinder sein. Vermutlich U21. Glückstag!
Beim Anpfiff um 19 Uhr ist es noch immer 41°C. Die zwei mitgeführten Wasserflaschen hab ich zur Halbzeit leer. Auf der Tribüne sind hundert Leute. Relativ viele für so ein Spiel, wie ich finde. Die feuern ihr Team lautstark an: Termiz City, Termiz City!
Von den oberen Reihen kommt ein junger Mann zu mir und fragt höflich, ob er sich zu mir setzen könne. Klar, warum nicht? Inomiddin ist 18, kommt aus einem Dorf und studiert seit 8 Monaten in Termiz Englisch. Ich bin der erste Europäer, mit dem er Englisch sprechen kann. Welche eine Ehre für ihn, betont er. Ganz meinerseits! Inomiddin ist sehr aufgeschlossen und sympathisch. Auf seinem Handy zeigt er mir Fotos aus seinem Heimatdorf. Das liegt zwar in der gleichen Provinz, in der wir uns gerade befinden (in Surxondaryo), aber dort sieht es ganz anders aus als in Termiz und Umgebung: Hohe Berge, grüne Wälder und vor allem Schnee. Wir unterhalten uns über Berufe, Sprache, Religion (die Muslime hier bezeichnen sich selbst als Musulmans) usw. Auf meine Bitte hin fragt er nach, welches das Gastteam ist. NASAF Qarshi. Prima, gibt es wenigstens Gewissheit darüber und keine Lücken in meiner Spieleliste. Nach einer Stunde muß Inomiddin beim Stand von 2:1 gehen. Er war zum Joggen gekommen, nicht um das Spiel zu gucken.
Inzwischen ist die Dämmerung hereingebrochen. Nach und nach kann man die Akteure auf dem Platz kaum noch erkennen. Die markanten Flutlichter bleiben dunkel. Unten auf dem Rasen wird unbeirrt weitergespielt, ohne dass sich eine der beiden Mannschaften durch die Dunkelheit irgendeinen Vorteil verschaffen könnte. Geil, so was hab ich noch nie erlebt! Irgendwann ist Schluß, 2:1 für Termiz City. Die Ersatzspieler stürmen den Platz und auf den Rängen schäumt Begeisterung auf. Na, sowas! Hier ging es um was, denke ich mir. Die Betreuer schalten die Taschenlampen ihrer Handys ein, um die Spieler sicher vom Platz zu führen. Super! Den Ground kann ich also doch abhaken!
Das muß gefeiert werden! Erstmals auf dieser Tour gehe ich freiwillig in ein Restaurant und ordere drei Lammspieße mit Beilagen. Ahhh! Ich bin zufrieden!
13. Tag (Donnerstag)
Sightseeing-Tour in die Umgebung mit Termiz Tours zu 95 EUR * Zugfahrt von Termiz nach Tashkent South zu 31,45 EUR
Mit „Das Ende der Welt“ ist diese Gegend rund um Termiz ganz gut beschrieben. Man kommt von Norden und muß nach Norden wieder abreisen. In alle anderen Himmelsrichtungen und angrenzenden Länder (Tadschikistan, Afghanistan und Turkmenistan) gibt es von hier aus kein Weiterkommen mehr.
Mir steht in Termiz noch ein halber Tag zur Verfügung, den ich mit einer Sightseeing-Tour nutzen werde. Um 9 Uhr holen mich Fahrer Mirzohid und Fremdenführerin Rayhon in einem SUV ab. Rayhon füllt mich in den nächsten Stunden auf Englisch mit überaus interessanten und wissenswerten Fakten zu allem, was wir sehen werden, ab. Sie ist äußerst kompetent und hat u.a. am DuMont Reiseführer „Zentralasien“ mitgearbeitet.
1. Stopp: Kampir Tepe (oder Aleksandriya Na Okse) wurde 1972 entdeckt und von einer Zeitung als das „Pompeji Zentralasiens“ bezeichnet. Man vermutet hier die verlorene Stadt Alexandria am Oxus. Der Bau des ersten Teils der Anlage begann im 4. Jahrhundert v. Chr. und umfasste Fundamente und die Festung. In dieser Zeit wurden während der Invasion von Alexander dem Großen zahlreiche Festungen und Städte in Zentralasien errichtet. Aleksandriya Na Okse war eine Lehmziegelstadt hatte u.a. einen Leuchtturm und Docks, an denen Schiffe, die auf dem Fluss Amu Darya unterwegs waren, anlanden konnten. Als der Amu Darya seine Richtung änderte, musste die Stadt aufgegeben werden. Man hat hier u.a. viele Münzen und andere Artefakte gefunden. Seit 2019 ruhen die Ausgrabungen.
Diese archäologische Ausgrabungsstätte ist für jedermann frei zugänglich. Umso bemerkenswerter finde ich es, das überall viele antike Scherben usw. herumliegen, die noch niemand aufgesammelt hat.
2. Stopp: Kara-Tepa, was "Schwarzer Berg" bedeutet, ist ein Hügel am Fluss des Amu Darya. Von seinem südlichen, höchsten Punkt aus kann man die von Mauern umgebene Zitadelle und die Ruinen der alten Stadt gut sehen. Die archäologischen Ausgrabungen bewiesen, dass sich unter jahrhundertealten Lößschichten ein Tempelkomplex mit Höhlenkloster verbirgt, der von buddhistischen Mönchen Ende des 1. Jahrhunderts gegründet wurde. Auf drei Ebenen wurden in den Fels gehauene Zellen für Mönche entdeckt. Zwei Jahrtausende alte Steintreppen führen unter das irdene Gewölbe mit einem Durchmesser von 5 Metern. In den unterirdischen Kammern fanden die Archäologen Fragmente von Buddha-Statuen und Wandmalereien mit einer der ältesten Buddha-Darstellungen der Welt, umgeben von Mönchen. In den Zellen wurden Keramiklampen, Reliquienbehälter und Münzen gefunden. Zum Kara-Tepa-Komplex gehörte auch ein Schlafsaal, in dem die Pilger Zuflucht finden konnten. In der Anlage befinden sich auch die Überreste von zwei Stupas. Ein Stupa ist ein buddhistisches Bauwerk, das Buddha selbst und seine Lehre, den symbolisiert.
Die Grenzanlagen zu Afghanistan sind ganz in der Nähe. Von Kara-Tepa sieht man auf eine Insel, die sich im Amu Darya gebildet hat. Diese Insel ist No-Mans-Land. Dahinter kann man deutlich Afghanistan erkennen. In der Gegend gäbe es noch Minenfelder aus der Zeit des Krieges zwischen der Sowjetunion und Afghanistan. Rayhon zeigt mir verrostete Munition einer Kalaschnikow, die hier überall herumliegt.
3. Stopp: Die wichtigste heilige Stätte von Termiz ist das Mausoleum von Hakim at-Termizi aus dem 11. Jahrhundert. Es wurde in späteren Jahrhunderten zweimal erweitert und um funktionale Gebäude ergänzt.
4. Stopp: Der Komplex von Sultan Saodat, der zwischen dem 10. und 17. Jahrhundert entstand, beherbergt die Gräber der einflussreichen Dynastie der Sayyiden von Termiz. Die Sayyiden von Termez beanspruchten die direkte Nachkommenschaft des islamischen Propheten Muhammad.
5. Stopp: Der Zurmala-Stupa ist ein Überbleibsel des größten buddhistischen Stupas im Bezirk Termiz und gilt als das älteste noch erhaltene Bauwerk in Usbekistan. Er wurde im ersten oder zweiten Jahrhundert n. Chr. errichtet. Der Stupa ist 13,5 m hoch und hat einen Durchmesser von etwa 14 m. Er besteht aus quadratischen Ziegeln.
Leider kann man zu dem Stupa nicht nahe heran, weil die Felder drumherum durch die Bewässerung ziemlich morastig geworden sind.
Das Thermometer im SUV zeigt unerbärmliche 51° C an. Es ist der heißeste Tag meiner ganzen Reise und wahrscheinlich mein heißester Tag ever. So bin ich ganz froh, dass wir am frühen Nachmittag durch sind und ich mich im Foyer des Hotel Asson von den Strapazen etwas erholen kann. Hätte ich geahnt, was mir noch bevorsteht...
Mir altem Interrailer ist es wichtig, den Weg zurück nach Tashkent mit dem Zug zurückzulegen. 15 Stunden für 785 km. Bei der Planung war gedanklich eine gute Portion Eisenbahnromantik mit dabei. Davon ist nichts mehr übrig, als ich mit meinem Koffer und Rucksack total durchgeschwitzt die 1000 m vom Hotel zum Bahnhof Termiz hinter mich gebracht habe. Ob das mit dem Zug ne gute Idee war, frage ich mich?
Eine gute halbe Stunde vor Abfahrt kann man in seinen Waggon steigen. Ich hab mir ein Platz im Luxus-Abteil gebucht. Luxus insofern, als das ich mir die 4 m² nur mit einer weiteren Person teilen muss.
In dem Waggon ist alles abgedunkelt. Trotzdem herrscht im Abteil eine mörderische Temperatur. Ich weiß nicht, ob es 50 oder 60° C sind. Bin nicht sicher, wie lange ich das so aushalten kann. Mir läuft der Schweiß schneller runter, als ich trinken kann. Zwei Liter pisswarmes Wasser pro Stunde schütte ich anfangs in mich hinein, ohne nur den Hauch einer Abkühlung zu empfinden. Boah, ich werd nicht mehr.
Als der Zug pünktlich um 17:46 Uhr losfährt, kippe ich das Abteilfenster und halte meine Rübe an den Schlitz, um zumindest etwas Zugluft zu erwischen. Genauso gut hätte ich mich vor einen Fön stellen können.
Der Liegewagen-Betreuer verteilt eisgekühlte 200 ml-Flaschen Wasser. Oaahh, was für eine Wohltat. Ich habe mich selten zuvor so über eine vermeintliche Kleinigkeit gefreut wie diese. Ich nehme die Flasche abwechselnd rechts und links in die Armbeuge und versuche, mich förmlich um diese Flasche herumzuwickeln. Zwar habe ich genug Wasser dabei, aber es ist so warm, dass es ungenießbar geworden ist.
Ich falle in einen Dämmerschlaf. Als ich nach etwa einer Stunde wach werde, bin nicht nur ich, sondern jetzt auch die ganze Bettwäsche usw. klitschnass. Bahh! Keine Ahnung, wie viele Liter Schweiß sich schon durch diese Polster im Abteil gesaugt haben.
Nach gut zwei Stunden stelle ich eine gewisse Besserung der Lage fest. Die Sonne ist weg und die Luft draußen hat sich etwas abgekühlt. Zudem scheint die Klimaanlage zumindest mit minimaler Kapazität zu laufen. Einer Oma, die mit eisgekühlten Getränken durch die Waggons zieht, kaufe ich gleich mehrere Flaschen ab. Gerettet, die Nacht kann kommen! Tatsächlich bekomme ich von der Nacht nicht mehr viel mit, was ich mir mit einem gerechten Schlaf nach strapaziösem Tag erkläre.
14. Tag (Freitag)
1x ÜF im Hotel Adras, Taschkent, Usbekistan zu 25 EUR
Am nächsten Morgen werde ich erst eine halbe Stunde vor Ankunft in Tashkent gegen halb Neun wach. Ich bin so versifft und verklebt, wie ich es zuvor wohl selten war. Diese Zugfahrt werde ich nie vergessen, sie war einfach unglaublich.
Ab mit dem Taxi zum bewährten Hotel Adras. Obwohl ich vier Stunden zu früh da bin, kann ich sofort auf mein Zimmer und unter die Dusche. Das Zimmer werde ich vor Sonnenuntergang nicht mehr verlassen. Totalschaden!
Am Abend treffe ich mich wieder mit Forhad. Diesmal suche ich das Restaurant aus und wähle die Speisen. Trotz gehobener Preisklasse ist Location und Essen nicht so gut, wie Tage zuvor, als Forhad mich eingeladen hatte. Ich berichte Forhad von meinen Erlebnissen und zeige Fotos.
Nach dem Essen ziehen wir noch etwas durch die Stadt und am Präsidentenpalast vorbei. Diese Gegend in Tashkent kannte ich noch gar nicht. Gegen Mitternacht liefert mich Forhad wieder im Hotel ab...
15. Tag (Samstag)
Flug TAS – FRA mit Usbekistan Airways zu 310 EUR * Zugfahrt Frankfurt-Flughafen → GL zu 9 EUR
… um mich drei Stunden später zum Flughafen zu bringen. Sieben Stunden später bin ich in Frankfurt und nach zweieinhalb Stunden in überfüllten Regionalzügen wieder daheim.
Fazit: Geile Tour, wie fast immer.
Was wird mir am besten in Erinnerung bleiben? Ein Stadionerlebnis? Nein, es ist etwas ganz anderes. Als ich mit Firdavs im Auto saß und wir vom Iskanderkul Lake losfuhren, bemerkte ich, ohne mir was dabei zu denken, dass Firdavs eine andere Route eingeschlagen hatte. Die unbefestigte Straße war enger, unwegsamer und steiler geworden. Firdavs fragte unterwegs die Einheimischen nach irgendwas und telefonierte herum (was er eigentlich die ganze Zeit über tat). Nach etwa 10 Minuten endete die Straße in einem kleinen Dorf. Firdavs winkte mir wortlos zu, ihm zu folgen.
Ich hatte keine Ahnung, was wir hier wollten und was auf mich zukommen würde. Wir stiegen noch 50 – 60 m den Pfad durch das Dorf hinauf und bogen um eine Häuserecke. Dort standen plötzlich sechs bis sieben alte, dünne Männer in langen Mänteln oder dunklen Anzügen und mit Tjubetejkas auf den Köpfen aufgereiht wie auf einer Perlenschnur. Wir wurden offensichtlich erwartet. Was wird das? Die Männer grüßten uns zurückhaltend mit einer leichten Verbeugung und der rechten Hand auf die Herzgegend gedrückt. Ich grüßte unsicher zurück. Hinter der nächsten Ecke das gleiche Bild mit weiteren 8 bis 9 Männern. Dann kamen wir zu einem kleinen Haus. Vor dem Haus waren Bänke, auf denen noch mehr alte Männer saßen. Alle schwiegen, nur einer von ihnen trat vor und hieß mich auf Englisch willkommen. Auf den einzigen zwei leeren Plätzen vor dem Haus nahmen Firdavs und ich Platz. Firdavs hob beide Hände und begann laut ein längeres Gebet zu sprechen, an dem sich alle anderen Männer beteiligten. Es kam mir vor, als würde ich träumen. So unerwartet und unwirklich kam mir das alles vor.
Als Firdavs fertig war, fragte mich der Mann, der mich begrüßt hatte, ob ich einen Tee trinken wolle. Ich bejahte, während Firdavs ablehnte. So wurde ich in das Haus hineingebeten. Es bestand eigentlich fast nur aus einem Raum, auf dessen Boden ein Teppich lag. Hier waren jede Menge Sachen zum Essen vorbereitet. Brot, Süßigkeiten, Obst usw. Mir wurde eine Schale mit Suppe aus Kartoffeln und Möhren gereicht, dazu ein Tee. Außer mir saß nur ein einziger weiterer Mann in dem Raum. Er deutete mir, ich solle noch mehr essen. Ob ich ihn fotografieren dürfe? Ja, gerne warum nicht? Schweigend aber freundlich sah er mir beim Essen zu. Ich fühlte irgendetwas wie einen tiefen Frieden in mir. Ein außergewöhnlicher Moment. Nach ein paar Minuten kam der englischsprachige Mann wieder und wir brachen auf.
Firdavs hatte draußen von meiner Leidenschaft für Fußballstadien erzählt. Ich verabschiedete mich bei allen und bedankte mich bei dem „Anführer“ der fremden Männer für die Gastfreundschaft. Dann stiegen wir uns Auto und fuhren wieder den Berg runter auf die Straße Richtung Duschanbe. Diese Zeremonie hat mich tief berührt. Ich weiß weder, was das für Männer waren noch weiß ich, warum mich Firdavs mit hierhergebracht hatte. Aber ich bin ihm sehr dankbar dafür, diese einzigartige Erfahrung gemacht zu haben zu dürfen.