blau = Flug, rot = Autofahrt, schwarz = Bahnfahrt, Pfeil = one way, ohne Pfeil = Hin- und zurück
Tag 1
Pünktlich um 14:05 Uhr startete ich mit Aeroflot von Frankfurt FRA in Richtung Taschkent TAS und somit zu meiner dreizehntägigen Tour durch Usbekistan. Die Hin- und Rückflüge via Moskau SVO gab es zu 486 EUR, das Visum schlug mit 80 EUR zu Buche.
Wie eigentlich immer hatte ich vor Reisebeginn sämtliche Hotels, Flüge und teilweise auch Zugfahrten gebucht und für Autostrecken private Fahrer enga- giert. Da man in den unbekannten Zielländern nie genau weiß, wie es um Internetzugang und die kurzfristige Verfügbarkeit von Plätzen in den verschiedenen Verkehrsmitteln bestellt ist, hat man bei Vorausbuchungen eindeutig bessere Karten. Zumal man sich mitunter viel Zeit und Trouble erspart. Andererseits ist es dann kaum möglich, sich auf kurzfristige Änderungen, z.B. von Spielplänen einzustellen.
So saß ich schon frustriert im Flieger, weil die für Tag 2 und 3 geplanten Erstligaspiele Lokomotiv Taschkent - FK Buchara und vor allem das Taschkenter Derby Bunyodkor - Pakhtakor um jeweils zwei Tage vorverlegt worden waren - und sich somit für mich erledigt hatten.
Die endgültigen Ansetzungen waren erst zwei, drei Tage vorher über die Liga-Seite pfl.uz zu erfahren, allerdings auch nur für die erste Liga. Alle anderen Quellen habe ich nie als zuverlässig erlebt. Für die zweite Liga fand ich gar keine offizielle Seite im Netz, dafür waren die Termine auf soccerway.de stets korrekt.
Nach drei Stunden Transitaufenthalt in Scheremetjevo hob ich ab gen Zentralasien. Bei Start und Landung hatte man auf seinem kleinen Bildschirm am Platz jeweils die Live-Sicht der Piloten auf Rollfeld, Startbahn, den Flughafen im Anflug oder die beleuchtete Landebahn. Einmalig! Unterwegs gab es eine riesige Auswahl an Filmen usw. entweder in ENG oder RUS. Guter Service von Putin Air!
Tag 2
Ankunft 2:45 Uhr Ortszeit. Nach dem Ausstieg hieß es Anstellen in eine langen dunklen Flur zur Passkontrolle. Erinnerte mich irgendwie an den Bahnhof Friedrichsstraße zu DDR-Zeiten. Danach mit Gepäck zur Zollkontrolle. Hatte aus dem Netz eine Zollerklärung auf Englisch heruntergeladen und vorbereitet, doch die konnte ich wegwerfen. Veraltet. Umso besser: Die neuen waren deutlich weniger neugierig. Die Zöllnerin knallte ihren Stempel drauf und fertig.
Vor dem Flughafen buhlten Taxifahrer um Kundschaft. Für 10 EUR (natürlich viel zu viel) ließ ich mich zu meinem Hotel fahren. Der Fahrer bot mir die hei- mische Währung zum Schwarzmarktkurs von 1 : 5000 an. Für einen EUR gab es also 5000 Sum. Der offizielle Kurs lag bei nur 1 : 3000. Der größte Schein, der in Usbekisten im Umlauf ist, ist der zu 5000 Sum, doch den gibt es nicht so oft. Im Prinzip wird der alltägliche Zahlungsverkehr zu 90% mit 1000 Sum- Scheinen abgewickelt. Somit läuft hier jeder stets bündelweise mit Bargeld herum. Zum Thema Geld später etwas mehr.
Das Rohat Hotel*** (35,88 EUR pro Nacht mF) wartete mit einem sauberen und geräumigen Zimmer auf, die Matratze angenehm steinhart. Konnte gleich mit den wichtigsten Disziplinen eines Usbekistan-Touristen beginnen: Leitungswasser meiden und Hände desinfizieren. Immer und immer wieder.
Nach drei bis vier Stunden Schlaf wandelte ich zum Frühstück ins Hotelrestaurant. Dort hätte ich am liebsten alle, wie einst Adrian Cronauer, mit "Good Morning Vietnaaaaaam!" begrüßt. Aber den Scherz hätte wohl niemand verstanden. Hatte mich noch nicht richtig daran gewöhnt, plötzlich mitten in Asien aufgewacht zu sein... Unter den Hotelgästen, als einzige "caucasians" neben mir, ein Ehepaar mit ca. achtjähriger Tochter aus Dessau. Diese ebenfalls für Usbekistan untypische Reisegruppe war u.a. hier, um einer einheimischen Hochzeit beizuwohnen. Trotz größter hygienischer Vorsichtsmaßnamen hatten alle schon ihren Dünnschiß gehabt. Toll, genau das was ich NICHT gebrauchen konnte. Das Frühstück, bestehend aus Teigtaschen, weißem Brot, Eiern und Kaffee war übrigens großartig.
Mein Hotel lag nur unweit des Bunyodkor-Stadions. Zu gerne hätte ich in diesem wohl modernsten Ground des Landes ein Spiel gesehen. Es schien mir, als wolle mich der Fußballgott persönlich verhöhnen, als mir der Wind Tickets von Bunyodkors letztem Heimspiel gegen Pakhtakor vor der Nase herum wirbelte. Scheiße!!! Ich wollte mich schnell in die Metro verdrücken. Doch noch oben am Tageslicht mußte ich Taschenkontrolle und Metalldetektor-Check über mich ergehen lassen. Und unten das gleiche Procedere nochmals plus Ausweiskontrolle! Der Polizist blätterte in Zeitlupe alle Seiten meines Reisepasses durch, als wäre er der erste, der auf diese Idee gekommen wäre.
23.10.15 FK Pakhtakor Taschkent II - Lokomotiv BFK Taschkent
Ich fuhr ins Stadtzentrum zum Pakhtakor-Stadion. Die riesigen Flutlichter waren schon von weitem zu sehen, doch in den Ground selbst kam ich nicht rein. Am Straßenrand sah ich eine großformatige Spielankündigung für das nächste Heimspiel von Pakhtakor gegen Dinamo Samarkand. Angesetzt für nächsten Montag. Da würde ich die Stadt schon längst verlassen haben. Hopperpech!
Laut meiner unsicheren Quellen sollte heute die zweite Mannschaft von Pakhtakor spielen. Fragte sich nur wo?! Das die im großen Stadion antreten sollten, hielt ich für ausgeschlossen. Am Pakhtakor-Gelände fragte ich bei einem Wachmann in blau-schwarzer Comouflage-Uniform nach. Er ging telefonieren und reichte mir dann den Hörer. Von dem Typ am anderen Ende der Leitung verstand ich auf Englisch was von "Nähe Station Chilanzor". Anstoßzeit wußte er nicht.
Also auf zur Metrostation Chilanzor. Ich staunte nicht schlecht, als ich hinter dem Bunyodkor-Stadion herauskam. Warum sollte Pakhtakor II auf dem Gelän- de des Rivalen Bunyodkor spielen? Aber es gab hier tatsächlich in direkter Metro-Nähe sechs Fußballfelder ohne nennenswerten Ausbau. Möglich schien es, daß hier ein Zweitligaspiel ausgetragen werden könnte.
Doch zunächst wollte ich mich mit Bargeld in Landeswährung eindecken. Als ich einen Jungen nach einer Bank fragte, schickte der mich zum nächsten Blumenhändler. Der angebotene Kurs war 1 : 5500. Für 50 EUR bekam ich wahrscheinlich zweihundert 1000 Sum-Scheine und fünfzehn 5000er. Nachzählen unmöglich, aber im Laufe der Zeit sollte ich ein gutes Gefühl für das Abschätzen der Bündeldicke(n) entwickeln. Stimmte so plus/minus 10%.
Nun lief ich zum Sportplatzgelände, wo gerade ein Dutzend Frauen fast im Gleichtakt mit Pinseln am Stadionzaun hoch und runter fuhren, um dem Ding zu frischem Glanz zu verhelfen. Den Uniformierten in seiner Wachbude fragte ich wege des Spiels, aber er bekam trotz einiger Telefonate nichts heraus. Vor dem Tor stand außer mir noch ein junger Mann, Sajud. Er sprach mich an und auch er wußte nicht, wo Pakhtakor II spielte. Aber gleich würde sich hier die U15-Jugend Bunyodkor - Pakhtakor duellieren. Sein vierzehnjähriger Bruder sei die Nr. 21 bei Pakhtakor und er sei hier, um ihm zuzusehen. Ob ich mitkommen wolle? Anstoß um 15 Uhr, also in zwanzig Minuten. Ich sagte spontan zu, zumal mir der Uniformierte seine Erlaubnis gab - nicht ohne meinen Rucksack gründlich zu filzen und nicht ohne darauf zu bestehen, stets in Begleitung von Sajud zu bleiben.
Mich erwartete eine noble Anlage mit Sportinternat, genannt "Akademie", auf der gerade neben den Jugendteams auch die Profis trainierten. Sajud erzählte mir, er sei 21 Jahre alt, studiere Jura, mache aber gerade eine Pause. Er war noch nie im Stadion um ein Spiel zu erleben, usbekischer Fußball sei uninteressant. Dagegen würde er lieber Premier League oder Primera Divison am TV gucken. Der Trainer von Sajuds Bruder wußte auf Nachfrage tatsächlich, wo Pakhtakor II spielte. Aber das nächste Spiel von denen sei erst morgen Mittag. "Hm... nicht heute?" dachte ich mir. Sajud schrieb mir auf Russisch die genaue Adresse auf und der Trainer malte mir noch eine kleine Skizze dazu. Prima, damit sollte der Ground doch zu finden sein.
Sajuds Bruder mußte nach einem Schlag ins Gesicht zwischendurch mal ausgewechselt werden, doch die Jungs von Pakhtakor siegten, anders als zwei Tage zuvor die Großen, nach 2x 25 min Spielzeit mit 2:0. Konnte der Kick in meine Statistik aufgeommen und der Länderpunkt Usbekistan abgehakt werden? Nee, so nicht.
Mein Begleiter fand für mich heraus, daß man eine offizielle Führung durch das Bunyodkor Stadium machen kann. Dafür melde man sich ab 11 Uhr an Eingang 4 und frage nach dem Marketing. Das nur wenige Meter entfernte Stadion stand offen und ich wäre gerne reingelaufen, doch Sajud hatte arge Bedenken und ich wollte ihn nicht in Bedrängnis bringen.
Nachdem wir uns verabschiedet hatten, wollte ich genau wissen, wo dieser blöde Ground von Pakhtakor II zu finden ist und stieg in das nächstbeste Taxi ein. Ich fand es immer wieder faszinierend festzustellen, wie grundverschie- den die Usbeken aussehen. Es gibt einfach keinen Prototypen. Vom "weißen Russen" mit leichten Schlitzaugen über den "asiatisch angehauchten Türken" oder dunkelbraunen "Kasachen mit hohen Wangenknochen" bis hin zum "ech- ten Chinesen"... dank der Jahrhunderte alten bewegten Geschichte dieser Region gibt es Gesicher aller Facetten.
Mein Taxifahrer war nun ein "echter Chinese", der aber nur Russisch verstand. Ich hielt ihm meinen Zettel mit der Adresse des Stadions unter die Nase und los ging es... Als er mich raus ließ, staunte ich nicht schlecht. Schließlich stand ich vor meinem Hotel! Woher wußte der "Chinese", wo ich abgestiegen war??? Plötzlich dämmerte es mir. Ich verglich die Skizze des Trainers mit dem Lageplan auf der Rückseite meiner Visitenkarte vom Hotel. Auf beiden war ein "Markt" eingezeichnet. Tatsächlich: Etwa 300 m vom Hotel enfernt gab es so etwas. Dem gegenüber sollte sich der gesuchte Sportplatz befinden. Und die Straße hieß "Chilanzor". Paßte!
Also hin da! Doch die Gegend sah gar nicht danach aus, als ob sich hier ein Stadion befinden könnte. Alles eng bebaut mit Wohnhochhäusern. Ich zweifelte inzwischen ernsthaft daran, den Platz von Pakhtakor II jemals zu finden.
Ein letzter Versuch: Ich ging in ein Internet Café und sah mir aus Google Map die Gegend von oben an. Und mir fielen fast die Augen heraus: Nicht gegen- über des "Marktes", sondern direkt gegenüber meines Hotels konnte ich zwei dicht an dicht liegende Sportplätze erkennen. Die Dämmerung hatte längst eingesetzt, als ich wieder um die Häuser herumschlich, diesmal in der richtigen Höhe der Chilanzor Kochasi. Und da tauchte er auf, der Kunstrasenplatz. Unscheinbar zwischen all den Hochhäusern. Der Schriftzug "Pakhtakor Akademiyasi" bestätigte mir endgültig, daß ich hier richtig war. Auf dem Plastikgrün bolzten ein paar Jungs herum, während ich in dem Akamedie-Gebäude nach em Spiel gegen Lokomotiv BFK fragte. Ja, das Spiel hatte hier stattgefunden, um 15 Uhr. Aaah... Krise³!!!! Da fahre ich den ganzen Tag durch die Stadt um einen Ground zu finden und dann liegt er nur 200 m gegenüber auf der anderen Straßenseite von meinem Hotel. Ich war fassungslos!
24.10.15 Maqtaaral Khetisay - Spartak Semay 1:1
Der erste Tag in Usbekistan gleich ohne Spiel & Ground war für mich sehr frustrierend - zumal am morgigen Sonntag im Lande der Ball ruhte. So sollte mein "Zusatzjoker" zum Einsatz kommen, nämlich mein UZB-Visum mit "number of entries: 2 (two)". Das hatte ich mir aus einem Bauchgefühl heraus für zusätz- liche 10 EUR ausstellen lassen, um im Notfall einen Sprung ins benachbarte Ausland machen zu können. Dieser Notfall war nun eingetreten und das Ziel hieß Kasachstan. Keine 70 Kilometer Luftlinie entfernt und nur 4 km hinter der Grenze sollten dort morgen in Atakent die Mannschaften von Maqtaaral Khetisay und Spartak Semay in einem Zweitligaspiel aufeinander treffen. Hin da!
An der Rezeption meines Hotels fragte ich nach, ob man mir für diese Tour kurzfristig einen Fahrer zur Verfügung stellen könne. Die Jungs telefonierten etwas hin und her und wollten mir innerhalb einer Stunde Bescheid geben. Etwas später klingelte auf meinem Zimmer das Telefon: Die Tour ginge in Ordnung, koste 100 USD, Start um 10:00 Uhr (bei einem Spielbeginn um 15 Uhr) und Fahrt nur bis zur Grenze (wegen Zoll, Versicherung, Auto... blah). Einverstanden!
Im Food Court eines Supermarktes ging ich zum Abendessen. Für zwei Kaffee, zwei Hamburger, Pommes und 1/2 Liter Wasser waren zwanzig Scheine (= 4 EUR) fällig. Passabel.
Als ich wieder an der Rezeption vorbei kam, winkte mich der Manager on Duty heran. Er stellte mir den Fahrer vor, der jetzt plötzlich 130 USD verlangte und erst um 11 Uhr starten wollte. Mir gelang es immerhin, ihn auf 10:30 Uhr herunterzuhandeln... (Achtung, Ironie!).
Tag 3
So wartete ich am nächsten Morgen ab 10:20 Uhr an der Rezeption. Mein Fahrer meldete sich von unterwegs, er komme erst um 11 Uhr, denn er müsse noch tanken. Schöne Scheiße! Fängt ja gut an, dachte ich mir.
Trotz des ärgerlichen Vorgeplänkels wegen des Geldes und des verspäteten Starts war mir mein Fahrer, Forhad, gleich sympathisch. Er hatte die Unbe- schwertheit eines 21jährigen und war sehr gesprächig. Dank seines guten Englischs erfuhr ich bald, daß er eine islamische Schule besucht habe, irgendwas mit Chemie studieren wolle, seine Tätigkeit im Hotel nur aushilfsweise sei, er zwei ältere Brüder habe und seine Mutter gestern erst aus Istanbul zurückge- kehrt sei. Dort habe sie Klamotten eingekauft. Die wären in der Türkei schöner und preiswerter.
Unterwegs kamen wir an einer Tankstelle vorbei, an der es tatsächlich lange Schlangen gab. Ich merkte also, daß Forhads "Ausrede" keine war. Hier tankte man jedoch kein Benzin, sondern Gas! So gaben wir also im wahrsten Sinne des Wortes Gas und rasten über eine Schnellstraße in Richtung des Ortes Sirdaryo. Bei schönstem Wetter sah ich erstmals in meinem Leben Felder mit Baumwolle und Melonen. Entlang der Straßen waren oft Kühe, Lämmer und deren Besitzer unterwegs, auf der Straße nicht selten Eselkarren.
Hinter dem Fluß Sirdarya klingelte plötzlich mein Handy. Eine SMS verkündete "Welcome to Kazakhstan!..." Zur Grenze konnte es also nicht mehr weit sein, doch plötzlich standen wir in einer Sackgasse. Zu beiden Seiten Rinder- und Schafsherden, im Feld saß eine Familie und ein paar Männer versuchten, ent- weder zu Fuß oder auf dem Pferd, einen Bullen einzufangen. Von einem fast leeren Feld pflückte mir Forhad ein paar übrig gebliebene Baumwollblüten. Unterwegs hatte ich schon riesige Berge geernteter Baumwolle gesehen.
Inzwischen war es schon 13 Uhr geworden und Forhad musste sich immer wieder zur Grenze durchfragen. Mich wunderte es, daß wir durch kleine verschla- fene Dörfer kamen, wo nirgends ein anderes Fahrzeug zu sehen war. Endlich erreichten wir eine Absperrung. Davor standen etwa 30 - 40 Autos in Lauer-stellung: Taxis, die auf Kundschaft aus Kasachstan warteten. Zu 98% waren Fußgänger unterwegs: Omas, Opas, Mütter mit Kindern und Gepäck. Von diesem ersten Grenzposten bis zum eigentichen Übergang gingen alle zu Fuß. Keine Ahnung, warum niemand mit dem Auto über die Grenze wollte. Wir gingen zu Fuß bis zum Grenzposten und damit hatte Forhad seine Pflicht erfüllt.
Doch Forhad bekam heraus, daß er für fünf Dollar "Gebühr" mit seinem Wagen über die Grenze fahren könne. Ob ich bereit wäre, diese fünf Dollar zu investieren? Klar, sagte ich (und dachte mir, es wäre doch viel komfortabler, mit Forhad direkt zum Stadion zu fahren, als auf der anderen Seite ein Taxi zu nehmen). Das wiederum wunderte Forhad offensichtlich sehr und mich wunderte es, daß es ihn wunderte usw. So liefen wir zurück, holte das Auto und fuhren bis zum Grenzposten vor. Dort tat sich erstmal lange gar nichts. Ab und zu kam uns ein einzelnes Auto entgegen. Als wir "dran" waren, wollte ich zur Passkontrolle für Fußgänger gehen, aber Forhad rief mich zurück. Er hatte erfahren, daß hier "Fremde" (solche wie mich, für die in Usbekistan Visapflicht bestehe) nicht rüber kämen. Wir müssten zu einem anderen Grenzübergang, nach Yallama. Tja, Zentralasien ist nicht Schengen.
Oh Mann! "Wie weit?" "Keine Ahnung!" Und los. Wir fuhren ein gutes Stück zurück und kamen bald wieder zur Grenze. Den Vorposten passiert, hieß es an der Grenze aussteigen. Während ein Hund den Wagen durchschnüffelte, gab es die erste Kontrolle der Dokumente.
Weiterfahren bis zum usbekischen Zoll. Hier mußte man die Deklaration zur Ausreise in zweifacher Ausfertigung ausfüllen. Weil ich an einem Geldautomaten in Taschkent "irrtümlich" 100 Dollar gezogen hatte, hatte ich bei der Ausreise mehr Geld als bei der Einreise dabei. Geht gar nicht. Der Zöllner meinte, ich solle die 100 Dollar einfach weglassen. Egal was man tatsächlich dabei hat, Hauptsache die Formulare stimmen. Also die Zollerklärung nochmal ausgefüllt, in zweifacher Ausfertigung. Versteht sich!
Als Autofahrer mußte Forhad einen anderen Weg durch den Zoll nehmen als ich und so trennten sich vorerst unsere Wege. An der usbekischen Passkontrolle mußte ich mit zehn anderen Leuten in der prallen Sonne in der Schlange warten. Im Schneckentempo ging es voran. Ein Zöllner mit dicker Fellmütze verabschiedete mich mit "Geil Gitler!" (so spricht sich der Führer- gruß auf Russisch aus). Sehr witzig!
Usbekistan hinter mir gelassen, hetzte ich durchs Niemandsland auf den ersten kasachischen Vorposten zu. Wieder Anstellen zur Paßkontrolle. Zum Glück war hier die Einreise eindeutig leichter: Kein Visum erforderlich, keine Deklaration. Irgendwann hatte ich die letzte Kontrolle überstanden und lief in Kasachstan ein. Inzwischen war es 14:30 Uhr, als nur noch eine halbe Stunde bis zum Spielanpfiff und von Forhad keine Spur. Er schien mit dem Auto noch nicht durch zu sein. Ich schrieb ihm eine SMS, die unbeantwortet blieb. Anrufen war keine Option, da mein Schrotthandy dauerhaft auf stumm geschaltet war und mich bei einem Telefonat niemand hätte hören können.
Was tun? Ich mußte zum Fußball. Wenn ich das Match sehen wollte, mußte ich Forhad samt Auto zurücklassen und auf eigene Faust weiter. Und wie sollte ich zurück nach Taschkent kommen? Zum Überlegen blieb keine Zeit.
Zwei Kasachen boten sich mir bereitwillig als Fahrer-Duo an. "Wohin?" "Nach Atakent! Wieviel?" "Hundert..." "Bist jeck? Das sind nur zwei Kilometer bis dahin..." "Nein. Mehr..." Die zwei berieten sich. Bei 20 EUR wurden wir uns handelseinig. Während der Fahrt wurden wir Freunde. Ich war nun für sie der "Miiischa", die Namen der beiden konnte ich mir leider nicht merken.
Mir fiel auf, daß wir viel länger unterwegs waren, als ich angekommen hatte. Wir hatten zwar einen anderen Grenzübergang genommen, aber trotzdem... Ein Blick auf die Karte sollte später das Rätsel lösen: Der merkwürdige Grenzverlauf in dieser Gegend machte einen großen Bogen erforderlich. Mich erreichte eine SMS von Forhad: Er hatte ein Problem an der Grenze und kam nicht rüber. Hatte ich wenigstens mit meinem Alleingang die richtige Entscheidung getroffen.
Die Landschaft in Kasachstan unterschied sich weitestgehend deutlich von der in Usbekistan. Es gab keine Bäume, Sträucher oder Felder, sondern nur hügelige Wiesen bis an den Horizont. Kam mir kurzfristig in die Mongolei versetzt vor.
Endlich, um ca. 15:10 Uhr und nach 170 km Zugfahrt, 4 841 Flugkilometern und weiteren 140 km im Auto kam ich am Stadion an... und der Ball rollte! Yeah! Das Tor zum Ground stand offen, Eintrittskarten gab es keine und auch die mit Kalaschnikows bewaffneten Polizisten hielten mich nicht auf. Meine kasach-ischen Begleiter spekulierten auf den lukrativen Auftrag einer Rückfahrt und gingen mit mir ins Stadion.
Ein Blick auf die Anzeigetafel und dann der Schock: Nicht die 1:0-Führung für Maqtaaral war so schlimm, sondern die Uhrzeit 16:10 Uhr. Die Kasachen waren tatsächlich eine Stunde weiter als die Usbeken und es lief schon die zweite Halbzeit. Aahrgs... auch das noch!
Nun mußte ich mal dringend pinkeln. Das war insofern interessant, als daß mich auf meine Frage nach einem WC ein Mann im Trainingsanzug in die Stadion-katakomben führte und mir den Mannschaftsraum von Maqtaaral aufschloß. Ohne Kabine o.ä. stand die Kloschüssel in der rechten Ecke, während sich links drei Duschen befanden. Da hoffte ich inständig, daß der Schiri nicht einem Spieler von Maqtaaral ne Rote Karte oder so verpasste.
Wieder draußen, bekam ich den Ausgleich von Spartak mit. Die Gäste aus Semay, das unweit des ehemaligen russischen Atomwaffentestgebietes Semi- palatinsk liegt, hatten immerhin eine Anreise von über 2 000 km in den Knochen. Das Geschehen auf dem Rasen, das nette Stadion mit seinen komischen Flutlichtmasten und der lautstarke Support einiger Maqtaaral-Anhänger (besonders ein "Japaner" mit umgehängter Kasachstan-Flagge tat sich hervor, der später von einem lokalen Fernsehteam interviewt wurde) schaffte genau die Atmosphäre, wegen der ich das Groundhopping so liebe.
Als der Schiri die Begegnung abpfiff, zeigte die Stadionuhr genau 16:58 Uhr. Damit war ich etwa 48 Minuten "brutto" beim Spiel dabei gewesen. Nach meinen eigenen Regeln muß ich mindestens eine Halbzeit eines Spiels komplett sehen, um einen Ground als "gemacht" zählen zu können. Das hatte ich an diesem Nachmittag nicht geschafft, sondern nur um Haaresbreite verfehlt. Jetzt aber trete ich dem Hardliner in mir in den Arsch und zähle Ground und Länderpunkt trotzdem. Bei solchen Mühen und so einem Aufwand hab ich mir das einfach verdient. Und sollte jetzt jemand nörgeln: Keine Panik, irgendwann werde ich in Kasachstan auch mal ein Spiel über 90 Minuten sehen.
Für 20 EUR ließ ich mich von meinen Freunden wieder zurück an die Grenze fahren. Zwischendurch schrieb ich Forhad eine SMS, er solle mich auf mich an der Grenze warten, egal wann ich auch käme. Hatte gelesen, daß die Übergänge über Nacht geschlossen würden... Nach gut 30 Minuten stand ich wieder dort, wo mich die beiden zuvor aufgegabelt hatten. Damit war mir mit nur zwei Stunden Aufenthalt in Kasachstan mein 53. Länderpunkt gelungen. Rekordverdächtig!
Jetzt am frühen Abend ware deutlich weniger Leute an der Grenze unterwegs. Die Abfertigung auf kasachischer Seite ging recht zügig. Nur die Tatsache, daß ich am gleichen Tag der Einreise das Land wieder verlassen wollte, sorgte für Irritationen. Im Niemandsland zwischen Kasachstan und Usbekistan stand Forhad und wartete auf mich. Er hatte inzwischen richtig Spaß an unserem abenteuerlichen Trip gefun- den und begrüßte mich lächelnd. Irgendwie hatte er es doch auf die andere Seite geschafft (dabei war er zuvor noch nie in Kasachstan gewesen), war aber dann wieder umgekehrt. Wo hätte er mich auch finden wollen?
Als wir uns an der usbekischen Passkontrolle anstellten, fiel die EDV aus. Keine Ab- fertigung für "Fremde". Nicht nur wir, auch drei weißrussische LKW-Fahrer mußten warten. Erst eine Stunde später fiel dem Zöllner ein, mal das zweite Terminal in seiner Bude einzuschalten. Ging doch!
Ab ins Auto und nach Taschkent gerast. Inzwischen war es stockdunkel geworden. Der junge Forhad fuhr mir etwas zu schnell und aggressiv. Beinaheunfälle gab es mehrere, aber das schien hier normal zu sein. Wir hatten Glück und es ging alles gut. Dieses Glück blieb mir auch hold, als ich mit Forhad zehn Tage später wieder unterwegs sein sollte...
Forhad hatte offensichtlich Bock darauf, für mich den Fremdenführer zu spielen. So konnte ich sein Angebot, mir die Hasrati Imam Moschee zu zeigen, nicht abschlagen. War ganz nett von ihm.
Im Internet Café erfuhr ich später endlich die Ansetzungen des nächsten Spieltages der ersten Liga: Alles morgen und übermorgen (25. und 26.11.), d.h. an zwei Tagen, an denen ich von meinem Reiseplan nicht abweichen konnte und nichts in meiner Nähe stattfand. Fußball konnte ich knicken. Schon wieder! Mist!
Mein Abendessen nahm ich im Dunkeln vor einer komischen Glasbude = Imbiss ein. Zwei Hamburger (nur Fleisch und Brot, ohne Gemüse wegen der Fäkal-belastung), Cola und Pommes. Für letzteres wurde extra eine frische Kartoffel geschält, gestiftet und frittiert. Frischer ging es nicht. Wer vermißt da schon McDonalds? In einem kleinen Café orderte ich zwei Kaffees zum Entspannen. Durch die Durchreiche, die groß wie ein Wohnzimmerfenster war, konnte man in die Küche schauen. In Deutschland hätte die Gewerbeaufsicht den Laden... schon klar, ne? Ich hingegen fand sie einfach geil und durfte den Küchenjungen an seinem Arbeitsplatz fotografieren.
Tag 4
Beim Frühstück hatte ich Spieler und Betreuer von Dinamo Samarkand als Konkurrenten ums Buffet. Später sah ich einige von denen vor dem Hotel rauchen oder mit Schokolade herumlaufen. Bei so einer Einstellung wunderte es mich nicht, daß die am Abend beim zukünftigen Meister Pakhtakor eine 0:6-Packung bekamen und letztendlich sogar abgestiegen.
Am späten Vormittag brachte mich Forhad zum Flughafen. Erstmals hatte ich einen Blick auf die schneebedeckten Berge des westlichen Tian Shan. Gigan- tisch! Terminal 3 des Taschkenter Flughafens bestach durch seine Leere. Kein Kiosk, Zeitschriftenladen oder Restaurant. Der "Bankschalter" war nur von 14 - 15 Uhr geöffnet - merkwürdiger Weise genau in der Zeit, in der jegliche Flugbewegungen ruhten.
Um 12.40 Uhr startete mein Flug (zu 90,99 EUR) mit Uzbekistan Airways nach Nukus. Die Flugzeit war mit 2,5 h deutlich länger als die Flüge am Morgen oder Abend. Hatte gelesen, der Flug mit einer Iljuschin wäre wegen der tollen Aussicht auf die Kizilkum-Wüste besonders zu empfehlen und ich vermutete richtig, daß das nur der Mittagsflug sein konnte. Was soll ich sagen? Als Freund der Wüsten habe ich diesen Trip besonders genossen! Ich liebe solch karge Land- schaften und die Kizilkum bietet immer wieder neue Sand-, Geröll- und Bergformationen sowie ausgetrocknete Wasserläufe und Salzseen. Von den 52 Sitzen war nur jeder Zweite besetzt und außer einer Irin und mir hatten sich nur Einheimische auf den Weg nach Karakalpakstan gemacht.
Dieses komisch klingende Karakalpakstan ist eine Autonome Republik innerhalb Usbekistans mit eigenem "Staatsoberhaupt", Parlament, Ministerrat und Flagge. Die Karakalpaken ("Schwarzmützen") fühlen sich Kasachstan stärker verbunden als Usbekistan, weswegen es eine separatistische Bewegung gibt. Viele Einwohner haben inzwischen das Land verlassen.
Pünktliche Landung um 15.15 Uhr in Nukus. Am kleinen Flughafen am Stadtrand warteten nicht einmal Taxis, geschweige denn sonst irgendwer. Der erste Eindruck sollte sich später noch verfestigen: Die Stadt schien mir trotz seiner 230 000 Einwohner wie ausgestorben zu sein. Irgendwann kam doch mal ein Opa mit seiner klapprigen Kiste vorbei und war bereit, mich für 8 000 Sum zu meinem Hotel zu chauffieren.
Das Hotel Rahnamo*** galt mit seinen acht Zimmern als bestes Hotel der Stadt und war mit knapp 60 EUR pro Nacht auch das teuerste, aber sein Geld nicht wert. Bett und Schreibtisch fielen fast auseinander und das Frühstück, zwar liebevoll von einer alten Dame zubereitet, war etwas schmal. Weitere Gäste: Fehlanzeige. In dem Hause verstand niemand Englisch und einen Stadtplan gab es auch nicht. So mußte ich mich mit meinen von daheim mitge- brachten Kopien aus dem Internet durchschlagen.
Bei einem Rundgang durch die Stadt war mein erstes Ziel, wie könnte es anders sein, das Stadion Turan von Aral Nukus auf der anderen Seite des Flusses Amudaryo. Der Bau ist gar nicht so übel und vermutlich erst wenige Jahre alt. Ungestört konnte ich reinstiefeln und Fotos machen und drei Sportlern beim Training zuschauen. Markant: Eine große Feuerschale in der Mitte der Gegentribüne. Scheint es häufiger in usbekischen Stadien zu geben.
Schon am Stadion war mit eine "Schießbude" aufgefallen. In der Innenstadt gab es noch eine solche: In einem Überseecontainer saß ein junger Mann, vor ihm drei Gewehre und im Hintergrund einige Zielscheiben aus Papier und Blechdosen. Das Herumballern schien eine beliebte Freizeitbeschäftigung der hiesigen Bevölkerung zu sein. Aus Jux und Dollerei wollte ich auch mal. 5 000 Sum für sechs Schüsse. Trotz mangelnder Bundeswehr-Erfahrung war das Ergebnis war nicht so übel.
Die Stadt war merkwürdig. Nicht nur, daß sie leer war. Die Straßen, im Schachbrettmuster angelegt, wurden fast durchgängig von Bäumen flankiert. Am Rande der Wüste vielleicht keine schlechte Idee. Jedoch war der Boden überall salzig-weiß und man schmeckte das Salz auf den Lippen. Erst später kapierte ich, wo das Salz überhaupt herkam. Einige Straßenzüge wirkten wahrlich geisterhaft: Als ob man die ganze Zeit durch einen Weißfilter schauen würde: Weiße Häuser, weiße Autos, weiße Bordsteine, weißer Boden und trotz einsetzender Dämmerung keine Straßenbeleuchtung.
Im Restaurant Jolly Jipek gönnte ich mir Kaffee, Fleischklösse in Suppenwasser und Thai-Chicken mit Brot zu etwa 6 EUR. Klasse! Brauche wohl nicht zu erwähnen, daß ich einziger Gast in dem Laden war.
Anschließend suchte ich vergeblich die auf meinem von daheim mitgebrachten Stadtplan eingezeichneten Internetstuben. Dort, wo sie sein sollten, fand ich nur leere Ladenlokale. Später erfuhr ich auch warum: Die Gebäude entlang der Straßen waren größtenteils abgerissen worden, um Neubauten zu weichen. Nun dachte ich besonders schlau zu sein, in dem ich ein Taxi anhielt und als Ziel "Internet Café" angab. Drei Straßen weiter ließ mich der Fahrer raus und deutete auf einen seltsamen Bau. Das war eine Art Hotel oder Wohnheim und drinnen gaben sich Karakalpaken in einer Bar dem Suff hin. Internet? Njet!
So ging ich mit einem komischen Gefühl zurück ins Hotel: Kein Handy-Empfang und kein Internet. Lost in Nukus! Aber ich mußte ja auch unbedingt hierher kommen.
Tag 5
Hatte mir schon vor Wochen für die heutige Tour einen Fahrer organisiert. Ziel: Moynak. eine Stadt, die einst am Aralsee lag und vom Fischfang lebte.
In Moynak befindet sich der einzige Schiffsfriedhof auf usbekischer Seite des Aralsees. Als Liebhaber verlassener Orte und absurder Szenerien war Moynak meine persönlich wichtigste Destination der gesamten Reise.
Mein Fahrer kam pünktlich um 9.30 Uhr am Hotel an, um mich abzuholen. Leider sprach er kein Englisch und so wurde es eine ruhige Fahrt. Nukus verlassen, ging es über meist holprige Pisten weiter. Unterwegs begegneten wir oft Eselkarren, Fahrräder oder LKWs, die mit Feuerholz o.ä. überladen waren. Viele Leute gingen selbst lange Strecken zu Fuß.
Unterwegs machten wir einen Stopp in Mizdakhan. Nur zwei, drei Kilometer von Turkmenistan entfernt, befindet sich auf einem Hügel seit dem 4. Jhd. v.Chr. eine Nekropole. Bis in unsere Tage werden dort Menschen beerdigt. Die neueren Gräberwaren mit Geländern umfasst und auf ihnen lagen hölzerne Leitern. Von den anderen Grabstellen waren nur noch Lehmfragmente zu erkennen. Ein einzigartiger Ort! Wenige Kilometer entfernt waren die Überreste des Forts Gyaur-Kala sichtbar.
Nach drei Stunden erreichten wir Moynak. Die auf dem Ortsschild aufgemalten Wellen und Fische sind längst Vergangenheit. Entlang der Hauptstraße säumten sich niedrige, alte Häuser, umfasst von mannshohen weißen Mauern aus Lehm und Flechtwerk. Die Fenster waren meist mit Folien staubdicht abgeklebt.
Zuerst "mußte" ich in ein Museum über den Aralsee. Extra für mich wurde die Ausstellung aufgeschlossen. Die wenigen Exponate zeugten von dem einst reichen Fischfang, der Fischfabrik und einem florierenden Hafen. Früher haben in der Gegend Füchse und Wölfe gelebt und sogar der sibirische Tiger soll hier heimisch gewesen sein. Ein kurzer Film auf Englisch machte mir eindrucksvoll mit alten Aufnahmen das Ausmaß der Katastrophe deutlich.
Danach ging es bis zum Schiffsfriedhof. Unterwegs in Moynak mal anzuhalten, lehnte mein Fahrer strikt ab. Begründung: "Police...!" Unterhalb der einstigen Küstenlinie hat man etwa zehn Boote aufgereiht, die vor Jahren auf dem Aralsee unterwegs waren. Sie dienen als Mahnmal. Die vielen anderen Schiffe wurden längst abgewrackt, als das Metall noch verwertbar war. Der einstige Grund des Sees sah eher aus wie Sanddünen in der Wüste How bizarre, how bizarre! Bis zum Horizont sah man nichts anderes als Sand und dürres Gestrüpp. Wenn es auf unserer Erde Orte gibt, die den Titel "Das Ende der Welt!" verdient hätten, Moynak gehört ganz bestimmt dazu.
Getoppt werden könnte Moynak höchstens noch von Kantubek. Die heutige Geisterstadt liegt unweit der kasachischen Grenze etwa 120 km von Moynak entfernt auf einer ehemaligen Insel des Aralsees. Wäre natürlich geil gewesen, da mal aufzukreuzen. Aber die Gegend ist von Milzbrandsporen (Anthrax) verseucht, mit denen man dort vor Jahrzehnten zwecks Entwicklung von biologischen Waffen experimentiert hat. Nee, muß man nicht haben!
Am späten Nachmittag waren wir zurück in Nukus. Als ich versuchte meinem Fahrer zu erklären, daß ich den ausgehandelten Fahrpreis von 90 USD nur in EUR zahlen könne, kontaktierte er seinen Chef, der auch promt vorgefahren kam.
Endlich mal jemanden vor mir, mit dem ich mich unterhalten konnte, nutzte ich die Chance und fragte nach dem Spielbeginn des morgigen Matches und (ich wurde langsam nervös) nach einem Internetzugang. Der freundliche Reiseagent nahm mich in seinem Auto mit, klapperte einige Stellen ab, an denen er ein Internet Café vermutete und brachte mich letztendlich zu sich nach Hause, um mich dort vor sein eigenes Laptop zu setzen. Sehr nette Geste! Brachte nur nichts, denn ähnlich wie im Iran schienen (deutsche) Seiten durch irgendwas geblockt zu werden. Zu der jung & dynamischen Erscheinung des Mannes passte es gar nicht, daß er mit seiner Familie eine spartanisch eingerichtete Wohnung in einer eher ärmlichen Siedlung bewohnte. Nach dem erneut gescheiterten Versuch, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen, setzte er mich wieder vor meinem Hotel ab.
Überraschung: Im besten Hotel der Stadt hatte man verzichtet, dem einzigen Gast des Hauses das Zimmer zu machen. Unverzeihlich! Ein Dinner im Restau- rant Neo ließ mich für 38 000 Sum pappsatt werden! Gewöhnungsbedürftig: Cola wurde stets in 1,5 l-Flaschen serviert - in jedem Restaurant des Landes! Saßen zehn Gäste am Tisch, standen auch 15 Liter Cola vor ihnen herum. Nicht kleckern, sondern klotzen?!
Tag 6
Meine "to-do"-Liste für den Vormittag war überschaubar: 1. Geld tauschen, 2. ins Internet gehen, 3. Postkarten abschicken. In Nukus brauchte ich für die Erledigung trotz geringer Entfernungen in der Stadt gute vier Stunden.
Der Hotelbesitzer erklärte mir zunächst mit Händen und Füßen, wo ein Internet Café zu finde sei. Als ich auf der Straße trat, entdeckte ich bald an der Tür eines Gebäudes der usbekischen Telefongesellschaft ein Schild mit der Aufschrift "Internet, Postamt". "Klasse, zwei auf einen Streich", dachte ich mir. Doch Pustekuchen! Im Internet Café befand sich außer Zementsäcken rein gar nichts und wo sich das Postamt tatsächlich befindet, bekam ich von einer Dame, die hinter einem Schalter saß, aufgezeichnet.
Anders als in Taschkent wurde mir in Nukus nirgends Sum zum Tauschen angeboten. Doch langsam wollte ich mir wieder ein paar Bündel sichern, um nicht bald zahlungs- und somit handlungsunfähig zu werden. Ein Irrtum zu glauben, eine so simple Transaktion würde jedes Kreditinstitut erledigen. Erst als ich die dritte Bank aufsuchte, bekam ich den entscheidenden Hinweis, daß Devisenumtausch nur die National Bank durchführe. Zuvor hatte man mich von Pontius zu Pilatus geschickt.
Sah das Gebäude der NB von außen respektabel aus, war es innen ziemlich das Gegenteil. Baustelle und Chaos! Ein Mann war so freundlich, mich in dem Riesenbau genau in das Räumchen und vor das Fensterchen zu stellen, wo der Umtausch Euro gegen Sum vollzogen werden sollte. Offiziell gab es für 1 EUR nur 3 000 Sum, also fast die Hälfte weniger als auf dem Schwarzmarkt. Bei dem insgesamt sehr geringen Preisniveau im Lande riss mir das nicht wirklich ein Loch in die Reisekasse. Zwei Damen brauchten geschlagene zwanzig Minuten, bis ein Umtauschzertifikat geschrieben war Für 100 EUR bekam ich dreihundert 1 000 Sum-Scheine überreicht.
Dank der Skizze der Telefon-Frau fand ich bald darauf das Postamt, das ganz unauffällig im zweiten Stock einer - was sonst - Baustelle untergebracht war. Lediglich ein an die Tür geklebtes Schildchen ließ die Bestimmung des Gebäudes erkennen. Da es keine Postkarten gab, holte ich mir an einem Straßenstand Notizblöcke mit farbigen Usbekistan-Motiven auf den Deckeln und Briefumschläge. Für je 2 200 Sum konnten die ersten Grüße nach Deutschland aufgegeben werden.
Auf einem kleinen Markt fielen mir zwei Omas auf, die doch tatsächlich Steine klopften. Sie hatte beide große Brocken im Schoß liegen und schlugen davon immer ca. 4 x 5 cm große, flache Stücke ab. Vor ihnen lagen Körbchen, in die verschiedene Steinarten einsortiert waren. Weiß der Teufel, wofür das gut sein sollte! Das sie nicht fotografiert werden wollten, respektierte ich.
Ein Wunder! Die Wegbeschreibung des Hotelbesitzers zum Internet Café war so gut, daß ich es sogar fand. Check check! Ich bekam heraus, daß am 31.10. Dinamo Samarkand gegen NASAF spielen würde! Geil, denn so sollte ich zu Spiel & Stadion kommen, ohne meine Reisepläne ändern zu müssen.
27.10.15 Aral Nukus - NBU Osiyo Taschkent 2:1
Mit einem Taxi ging es zum Turan Stadion. Polizeifahrzeuge hatten die Straße vor dem Ground abgesperrt. Am Eingang wurde ich von den Cops durchsucht und auch die obligatorische Passkontrolle durfte nicht fehlen. Allgemeines Gelächter auf meine Frage, ob und wo man Eintrittskarten bekäme.
Eine Stunde vor Anpfiff war ich außer ein paar Polizisten und der Feuerwehr alleine im Stadion. Und fast eine Stunde saß ich bei gespenstischer Stille in der prallen Wüstensonne und genoß die Szenerie. Alle etwa 8 000 Sitzplätze waren salzverkrustet und zu gern hätte ich mal einen Schluck Wasser gehabt, aber die Staatsdiener am Eingang waren knallhart gewesen: No bottles inside! Bei Spielbeginn hingen höchstens 40 Schulkinder auf der Tribüne ab, beim Abpfiff waren es etwa 200. Aral Nukus empfing als 15. und Vorletzter der 2. Liga mit NBU Osiyo (NBU = National Bank for Foreign Economic Activity of the Republic of Uzbekistan, Osiyo = Asien) ein Team aus dem Mittelfeld. Als die Mannschaften auf das Spielfeld liefen: Kein Laut! Als das Spiel begann: Stille! Diese wurde erst gebrochen, als nach 20 Minuten der Stadionsprecher die Mannschaftsaufstellungen bekannt ab.
Die erste Hälfte war trostlos. Schwalben am laufenden Band, die jedoch konsequent immer als Fouls geahndet wurden. Erst als ein paar Wolken aufzogen, wurde das Match besser. Als etwa in der 60. Minute ein Tor fiel und niemand jubelte, wußte ich endlich, wer wer auf dem Platz war. Bisher hatten die Reaktionen der Zuschauer auf das Spielgeschehen keinerlei Schluß in diese Richtung zugelassen. Aral Nukus trug also diese geilen schwarz-weißen Trikot mit goldenen Rückennummern. Kann mir jemand ein solches besorgen?
Ich war mir sicher, das 0:1 für die Hauptstädter würde den Endstand bedeuten. Es hatte bisher einfach kaum brauchbare Torchancen auf beiden Seiten gegeben. Doch ich irrte natürlich: Plötzlich drückte Aral aufs Tempo und wurde durch einen sehenwerten Distanzschuß mit dem Ausgleich belohnt. Nun gab es von der Tribüne etwas Unterstützung, "Aral, Aral..." war zu hören. Kurz vor Schluß fiel sogar der Siegtreffer für Aral per sehenswertem Kopfstoß. Letzt-endlich sorgten diese drei Punkte dafür, daß Nukus zum Ende der Saison als 13. doch nicht absteigen mußte. Die Begeisterung auf den Rängen hielt sich in Grenzen, die Spieler jedoch waren überglücklich.
Die Polizei hatte es eilig, den Ground zu räumen. Weil es noch hell war, ließ ich mich von einem Taxi in den Süden der Stadt fahren, wo ich mir den Bahnhof (im Umbau) anschaute. Die Gegend sah wesentlich ärmer aus als das Zentrum oder der Norden. Den Länderpunkt Usbekistan feierte ich mit einem Abend- essen und einer 1,5 l-Cola, mal wieder im Neo.
Tag 7
Morgens um 6.30 Uhr holte mich ein von mir engagierter Fahrer vom Hotel ab, um mich knapp 200 km via Urganch nach Khiva zu chauffieren. Wäre eigentlich gerne die Strecke Nukus -> Urganch mit dem Zug gefahren (liegt alles auf der Achse Saratov -> Taschkent), aber der Zug fuhr heute erst ab Urganch. Hatte auch sein Gutes, denn so kam ich zu der Gelegenheit, mit Khiva (nach Samarkand und Buchara) auch das dritte "Muß" für Touristen in Usbekistan mitzunehmen.
Es wurde eine ziemlich holprige Fahrt durch die endende Nacht in den frühen Morgen. Der schöne Sonnenaufgang über der Kizilkum entschädigte für das frühe Aufstehen. Gegen 9 Uhr verließen wir die Wüste und erreichten die hässliche Industriestadt Urganch. Nochmals eine halbe Stunde später kamen wir in Khiva an, daß mit Urganch in einer riesigen Oase liegt. Ich wunderte mich, daß selbst hier der Boden noch voller Salz war.
Khiva besteht in seinem Kern aus einer Museumsstadt, die von der "modernen" Neustadt umgeben ist. Der historische Teil war einst eine umkämpfte Festung, die teilweise noch von einer stattlichen Mauer umgeben wird. Bekannt ist Khiva vor alle für das nicht fertiggestellte Minarett Kalta Minor. Erstmals seit dem Frühstück in Taschkent vor 6 Tagen traf ich wieder auf Europäer, natürlich deutsche Best Ager. Doch die fielen unter den vielen einheimischen Touristen (inklusive einiger Hochzeitsgesellschaften) kaum auf.
Khiva ist sicherlich ein bemerkenswerter Ort, der einen Besuch lohnt. Doch so richtig total gut gefiel mir die Stadt nicht. Die Bezeichnung "Museumsstadt" traf es auf den Punkt: Man fühlt sich als Besucher eines großen Open-Air-Museums und dabei unter all den Souvenirhändlern alleingelassen. Alle Gebäude und Wege waren einfach zu sauber, es wirkte fast schon steril. Und in manchen Ecken der Stadt hatte ich das Gefühl, ganz alleine zu sein. So war ich froh, zwischendurch den quirlig-chaotischen Markt in der Neustadt besuchen zu können, wo ich mich mit Proviant für die bevorstehende Zugfahrt eindeckte.
Pünktlich um 13.30 Uhr holte mich mein Chauffeur am Stadttor von Khiva wieder ab und brachte mich zum Bahnhof von Urganch. Für seine Fahrdienste standen ihm 75 USD zu.
Bevor man in Usbekistan einen Bahnhof betritt, wird man stets kontrolliert. Meist will die Polizei die personalisierte Fahrkarte sehen, manchmal auch den Pass. Im Bahnhofsgebäude wird das Gepäck durchleuchtet und man selbst auf Metallgegenstände geprüft. Später hatte ich in einem Zug ein Filmchen gesehen, in der eine aufmerksame Zugbegleiterin in einem Abteil einen herrenlosen Koffer findet und sofort Alarm schlägt. Der Bahnsteig, an dem der Zug steht, wird sofort gesperrt, die Reisenden evakuiert und ein ferngesteuerter Sprengstoffentschärfungsroboter in den Zug gelenkt. Im abschließend einge-blendeten Text verstand ich nur das Wort „Taliban“. Im Bahnhof muß man dann noch seine Fahrkarte auf der Rückseite abstempeln lassen, bevor man ans Gleis gehen darf.
Der Zug nach Taschkent trug den Namen „Amurdaya“ und bestand aus mindestens 15 Waggons russischer Bauweise. Meine Fahrkarten hatte ich mir schon früh über www.realrussia.co.uk besorgt. Das war zwar deutlich teurer (ca. 83 EUR, u.a. wegen der Versandkosten), aber es gibt keine bösen Überrasch-ungen, wenn man aufgrund seines Reiseplans auf einen ganz bestimmten Zug angewiesen ist.
Im Waggon 4 bekam ich Abteil V zugewiesen, in dem ich mich während der ganzen Fahrt alleine aufhalten konnte. Alles sauber und in gutem, funktionieren- dem Zustand. Nur die Toiletten...na ja! Kaffee mit Wasser aus dem mit Kohle befeuerten Samowar war mal für lau und mal für 3000 Sum beim Waggonbe-treuer erhältlich. Um 15:20 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, das 681 km entfernte Navoi würde ich am nächsten Morgen um 1:56 Uhr erreichen. Hinter der Stadt Xazorasp verließ der Zug die Oase und rollte in die Wüste. Kurz bevor der Fluß Amurdaya überquert wird, führen die Gleise etwa 1 500 m über turkmenisches Gebiet. Reicht das für einen Reiseländerpunkt?
Die von den Russen erbaute Eisenbahntrasse macht auf ihrem Weg nach Osten durch die Kizilkum einen großen Schlenker zur Stadt Uchquduq und an Zarafshon vorbei. Im Umland dieser Städte, die keine 60 Jahre alt sind, wird Uran und Gold abgebaut. Zugern hätte ich im Progress-Stadion von Zarafshon ein Spiel gesehen. Denn wer hat schon einen ground in einer echten Goldgräberstadt mitten in der Wüste gemacht? Doch es war von Deutschland aus nicht eindeutig zu klären, ob der Erstliga-Verein Qizilqum Zarafshon auch wirklich in seiner Heimatstadt spielt. Inzwischen weiß ich sicher, daß der Verein seine Spiele in Navoi austrägt.
Zu meiner totalen Begeisterung war Waggon 8 ein Speisewagen. Nicht, daß ich zu wenig Proviant dabei gehabt hätte. Nein, vielmehr ging es darum, daß ich mir (nachdem ich mal was über eine Zugreise durch Kasachstan gelesen hatte) unverhofft einen langgehegten Wunsch erfüllen konnte: Ich sitze in einem Zugrestaurant, auf meinem Tisch steht irgendein fremdkomisches Essen (aber genießbar), um mich herum nur Fremde, die ich und die mich nicht verstehen und der Zug rattert durch eine scheinbar endlose Wüste. Genau diese Situation wollte ich erleben und nun war ich live mittendrin. Der Höhepunkt: Bei einer entspannenden Tasse Kaffee "Sharp Dressed Man" von ZZ Top auf dem MP3-Player hören! Leben, Du kannst so schön sein!
Am Abend hörte ich plötzlich wildes Geschrei. Es schien etwas weiter entfernt herzukommen, vielleicht im nächsten Waggon. Sicher die Taliban, die es auf mich abgesehen haben. Ach nein, der Abteilnachbar hat nur seinen Fernseher angemacht. Die Russen haben ständig Filme im Programm, wo sich im Minutentakt Gangster und Mafiosis gegenseitig abknallen. Args!
Tag 8
Nach unruhigem Schlaf kam ich pünktlich in Navoi an. Kaum jemand stieg aus und an dem sauberen, erstklassigen Bahnhof hingen neben ein paar Sicher-heitsbeamten und Eisenbahnern nur drei weitere Fahrgäste ab. Die dreieinhalb Stunden Wartezeit auf meinen Anschlußzug nach Buchara gingen schnell vorbei: Sternenhimmel gucken und so.
Als ich erfahren hatte, daß der Zug eine 3. Klasse mit sich führte, hab ich mir ohne zu Zögern für diese ein Ticket gebucht. In der 3. Klasse zu fahren hat man ja nicht so oft. Ich wußte nicht genau, was mich dort erwarten würde. Aber die anderthalb Stunden sollte ich auch zwischen Hühnerkäfigen und herumlaufenden Schafen überstehen, dachte ich mir. Doch es kam anders: Als der Zug stoppte, merkte ich, daß ich mindestens 15 Waggons den Bahnsteig runterlaufen mußte, um zu Waggon 19 zu kommen. Das war kaum zu schaffen. Einer der Liegewagenbetreuer erkannte wohl mein Problem und bot mir an, bei ihm einzusteigen. Natürlich für ein Trinkgeld von 10 000 Sum. Sei´s drum. So ging mir zwar das Erlebnis 3. Klasse durch die Lappen, doch ich verpaßte nicht den Zug und konnte mir unterwegs noch eine gute Stunde Schlaf gönnen. Die Frau, die sich mit mir im überheizten Abteil aufhielt, war die erste Person ohne asiatischen Einschlag, die seit Tagen zu Gesicht bekommen hatte. Kurz vor dem Ziel wurde den Reisenden ein grandioser Sonnenaufgang geboten.
Um 7:40 Uhr erreichte ich Buchara 1. Das hieß nicht, daß ich in Buchara angekommen war. Der Bahnhof liegt nämlich in der 15 km entfernten Nachbarstadt Kogon. Buchara 2 hingegen befindet sich tatsächlich in Buchara, ist aber nur ein Güterbahnhof. Am Ausgang wurde ich von einem Mob Taxifahrer empfan- gen. Einer mit einem Bundesadler auf der Jacke schien mir für den Job, mich zum Hotel zu bringen, nahezu prädestiniert. Wir gingen zusammen aber zunächst zum Fahrkartenschalter, wo ich mir für 31 000 Sum ein Ticket für eine Fahrt nach Samarkand in zwei Tagen kaufte. Der Taxifahrer war der erste, der von sich aus auf das Thema Fußball kam. Er outete sich als Fan von Barca und Messi, schon klar. Obwohl ich ihn sprachlich nicht verstand, verstanden wir uns menschlich ganz gut. Ich engagierte ihn umgehend für die Rückfahrt.
Im Hotel Malika*** (41 EUR/Nacht mF) konnte ich sofort einchecken und mich sogar am Frühstücksbuffett vergreifen, obwohl ich erst für den Nachmittag mein Zimmer gebucht hatte. Nach einer Dusche und etwas Schlaf ging ich auf einen sechsstündigen Rundgang durch Buchara. Die Stadt ist wahrlich ein Highlight der Seidenstraße. Die Vielzahl an historischen Gebäuden ist kaum zu übertreffen. Doch auch hier kam mir alles etwas zu clean, touristisch und leer vor. Die ganzen Medresen konnte ich bald nicht mehr auseinanderhalten und so verlief ich mich willkürlich. Zum Mittagessen gönnte ich mir einen Hühnchen- spieß am sensationell romantisch-schönen Lyab-i Hauz.
Nach soviel Kultur brauchte ich etwas Abwechslung. Da bot sich, trotz starker Hitze (da nicht weit von der Altstadt entfernt) ein Spaziergang zum Stadion des Tabellenletzten der 1. Liga, dem FK Buxoro an. Der Ground hat die eigentümlichsten Flutlichter, die ich je gesehen habe. Erinnerten mich spontan an Honiglöffel. Die letzte Renovierung der Arena dürfte nicht allzu lange her sein. Den Ground hatte ich fest eingeplant gehabt, doch die Spielverlegungen....! Ich kam unbehelligt in den Innenraum und konnte Fotos machen.
Neben dem Stadion befand sich ein kleiner Kunstrasenplatz, dessen Bank mir direkt ins Auge fiel. Unter der Aufforderung "Alles für das Vaterland, alles für den Sieg!" waren großformatige Mannschaftsfotos europäischer Spitzenclubs angebracht, u.a. eines vom FC Bayern. Kam gut! Anschließend versteckte ich mich wegen der hohen Temperaturen bis in die Abendstunden auf meinem Zimmer.
Im Internet fand ich später heraus, daß für den nächsten Tag in etwa 370 km Entfernung - also in Reichweite - ein Erstligaspiel stattfinden würde. Hoppen und den ganzen Tag im Zug sitzen oder gemütlich die restlichen kulturellen Highlights von Buchara abklappern? Hoppen!
Tag 9
30.10.15 FK Sogdiana Jizzakh - FK Omaliq 1:0
Morgens um 6 Uhr ließ ich den Wecker klingeln. Auf das Hotelbuffett mußte ich leider verzichten. Wenn ich aus jedem Zug hunderte Menschen aussteigen sehe, müssen die ja irgendwann auch mal Fahrkarten gekauft haben und bei nur ein oder zwei Schaltern pro Bahnhof stelle ich mir vor, daß es dort manch- mal zu langen Warteschlangen kommen sollte. Darum hielt ich es für ratsam, reichlich früh am Bahnhof aufzutauchen. Hätte ich mir sparen können: Dort trieb sich, außer mir, keine Menschenseele herum. Für 83 000 Sum bekam ich eine Rückfahrkarte im Express-Zug "Sharq" nach Jizzakh.
Statt im Großraumwagen hatte ich einen Platz im Liegewagen ergattert, weswegen ich noch etwas Schlaf nachholen konnte. In Navoi stieg ein Geschäfts- mann, Sherzod, zu mir ins Abteil. Sherzod war auf dem Weg zu einem Termin in Taschkent und wurde für mich in den nächsten drei Stunden unserer gemeinsamen Reise zu einem überaus angenehmen Gesprächspartner. Der Familienvater, dessen Frau Deutschlehrerin ist, war sehr freundlich und ziemlich liberal eingestellt. Ich erfuhr von ihm so unendlich vieles über Usbekistan, wie es in keinem Reiseführer zu lesen gewesen wäre.
Um 12:50 Uhr war ich am Ziel: Jizzakh. Eine Stadt, von der ich nie zuvor gehört hatte und die in Reiseführern keinerlei Erwähnung findet. Im Gegensatz zu Buchara war es in Jizzakh deutlich grüner und fast schon kalt. Mir schien, als wäre der Ort eine einzige Ansammlung von (Groß-)Märkten. Da ein Café oder gar Restaurant nirgends aufzutreiben war, mußte ich mich an einem der Marktstände mit Brot versorgen.
Für 1 000 Sum brachte mich ein Taxi zum Stadion. Auf einem Plakat wurde das Spiel für 16 Uhr statt 15 Uhr angekündigt. So hatte ich nun zwei Stunden im Ground abzuhängen, bevor es los ging. Für 5 000 Sum gab es am Eingang (endlich mal) eine Eintrittskarte. Im Stadion-Café gönnte ich mir den ein oder anderen Kaffee. Die "Chefin" sprach ein wenig Englisch und war begeistert, einen Fremden als Gast zu haben und spendierte gleich ein halbes Brot. Einige Jungs, als Servicekräfte im Café unterwegs, starrten mich so unbekümmert an, als käme ich von einem anderen Stern. Das wurde mir langsam peinlich! Als eine ganze Kohorte Polizisten den Laden stürmte, bekamen die Jungs Arbeit und konnten mich nicht länger anglotzen. Zeit für mich, den Ground in Augen-schein zu nehmen.
Das unüberdachte Stadion mit der obligatorischen Feuerschale fand ich total geil: Keine drei Jahre alt, ca. 8 000 Sitze in den usbekischen Nationalfarben und eine verspiegelte VIP-(?)-Loge. Während ich so dahin döste, hörte ich plötzlich jemanden Deutsch sprechen. Ich schreckte auf und bemerkte, daß die Stimme aus den Stadionlautsprechern kam. Auf der ultramodernen Videowand wurde ein Teil der SKY-Zusammenfassung von... ich kann es bis heute nicht fassen... Bayern München - 1. FC Köln 4:0 von vor 6 Tagen gezeigt. Mitten in Zentralasien die Tore von Robben und Vidal präsentiert zu bekommen, irre!
Bis zum Anstoß hatten sich immerhin 3 500 Zuschauer im Stadion eingefunden. Eine Trommel und eine nervige Vuvuzela waren zu hören. In Höhe der Mittel- linie saß unterhalb der Feuerschale die Sektion Stimmung. Sogar zwei kleine Transparente wurden aufgehängt. Unübersehbar die große Anzahl an Polizisten. Ab und zu wurde ich von einzelnen mit "Brat" (= Bruder) angesprochen, ich solle das Fotografieren bleiben lassen. Das Spiel wurde ganz nett. Als der Schiri einmal in Strafraumnähe den Ball spontan für Sogdiana freigab, schoßen diese den verdatterten Gästen die Kugel mal schnell ins Netz. Der Treffer wurde richtig gefeiert, die Zuschauer gingen ganz gut mit. Zur zweiten Hälfte gingen die Flutlichter an und ich fror mir richtig einen ab. Alles in allem ein gelungener Nachmittag.
Als ich das Stadion verlassen wollte, wurde ich von einer Gruppe Polizisten angehalten, kontrolliert und ausgequetscht. Wer ich sei, was ich hier wolle usw. Der "Chinese" unter ihnen glänzte zum Abschied mit zwei Wörtern Deutsch: "Guten Morgen!" Den Irrtum mit der Tageszeit konnte ich ihm durchaus verzei- hen. Besser als mit "Heil Hitler!" begrüßt zu werden.
An einem Straßengrill organisierte ich mir meine erste warme Mahlzeit an diesem Tag. Schnell wurde ich von einer Gruppe Leute umringt und wir hatten ein bisschen Spaß. Ich wurde aufgefordert, alles zu fotografieren. Kein Problem, dafür war ich ja gekommen.
Jizzakh war abseits der Geschäftsviertel total dunkel. So ging ich zum Bahnhof zurück, um auf den Zug nach Buchara zu warten. Dort wurde ich von einem jungen Sicherheitsinspektor in gutem Englisch angesprochen. Zuerst dachte ich, er wolle mich - wie alle Uniformträger auch - kontrollieren, aber dieser wollte nur quatschen. Er wollte möglichst viel von Deutschland ("Was kostet Fleisch...?") und von mir ("Hast du Familie? Was arbeitest Du? Was verdienst Du?...") erfahren. Gerne wolle er Deutschland einmal besuchen, aber er wußte, daß es für ihn ein Traum bleiben würde. Der nette Kerl hatte auch Ahnung von Fußball und so fachsimpelten wir über die Champions League usw. Sobald man in Usbekistan erkannte, daß ich Deutscher bin, fiel fast immer sofort der Begriff "Bavaria Münich". Der Inspektor kannte auch Borussia Dortmund. Als ich ihm von ausverkauften Stadien mit 80 000 Zuschauern, teuren und raren Tickets erzählte, bekam er glänzende Augen. Kurz nach 20 Uhr traf mein Zug ein, der junge Mann brachte mich zu meinem Waggon und wir verabschiedeten uns.
Diesmal saß ich in einem Großraumwagen, in dem in der Mitte zwei Fernseher aufgehängt waren. Trotz des nervigen Gedüdels schlief ich fast bis Buchara durch, wo ich weit nach Mitternacht aus dem Zug sprang.
Tag 10
Nur fünf Stunden später hieß es für mich, widerwillig aus dem Bett zu rollen. Wie verabredet erwartete mich der Taxifahrer mit dem Bundesadler auf der Jacke. Er sprach gar kein Englisch, wollte sich aber unbedingt mit mir unterhalten. Er zeigte mir auf seinem Handy Fotos seiner Familie - worauf ich mit meinen vier Kindern protzen mußte. Plötzlich holte er aus dem Handschuhfach eine Kette mit Holzperlen: Fast wie ein Rosenkranz, nur kürzer. Er drückte sie mir in die Hand. Weiß nicht, was das ist und welche Bedeutung es hat, doch ich deute es mal als eine gute Geste.
Ich kletterte in den gleichen Zug wie am Vortag in Richtung Jizzakh, stieg heute aber schon gegen Mittag in Samarkand aus. Eigentlich wollte ich in zwei Tagen mit dem modernen "Afrosiob" (der ICE Usbekistans) nach Taschkent weiterrasen, doch beide Züge waren schon ausgebucht. So sollte ich wieder den "Sharq" nehmen müssen, was sich aber noch als klarer Vorteil herausstellen sollte.
Ein Taxi brachte mich zu meinem Hotel Bibi-Khanum*** (45 EUR/Nacht mF), das direkt neben der gleichnamigen Moschee liegt. Vom Hotel aus hat man einen grandiosen Ausblick auf eine der Kuppeln. Supergeil! Der Mann an der Rezeption war der Erste, der mir auf dieser Reise begegnete und gutes Deutsch sprach. In Köln sei er gewesen und die Stadt sei viel schöner als Berlin. Er kennt sich aus!
31.10.15 Dinamo Samarkand – NASAF FC Qarshi 1:1
Ich bat den "Deutschen", sich mit meiner Registrierung zu sputen und mir meinen Pass zurückzugeben, denn ich mußte zum Fußball. Ab dem Registan nahm ich ein Taxi bis zum Stadion.
Von der Straße aus kann man direkt in den tiefer liegenden ground hineinschauen. Von allen Stadien, die ich bisher in Usbekistan gesehen hatte, war dieses mit Abstand der älteste (1963 erbaut) bzw. der, bei dem die letzte Renovierung am längsten zurücklag. Polizisten wiesen mir den Weg zu einem kleinen Auto, das mit Spielankündigungsplakaten beklebt war und aus dem heraus zwei Mädels tickets (zu je 3 000 Sum) verkauften.
Eine knappe Stunde vor Spielbeginn war Einlaß. Polizisten waren wie immer stark präsent. Sie übernahmen auch den Sicherheitsdienst im Stadion und rissen die Karten ab. Die Kontrollen waren diesmal sehr streng, nur den Pass konnte ich stecken lassen. In einer abgelegenen Ecke des Stadons saß eine Frau, die Backwaren und Tee im Angebot hatte. Kaffee gab´s nicht. Also dann n Tee und zwei Balashki mit Fleisch (o.ä.). Kamen gut! Zumindest die 1. Liga in Usbe- kistan hat eine echte Kuriosität zu bieten: Für einen Gang auf die Stadiontoilette muß man tatsächlich was abdrücken: 500 Sum und die Klospülung. Fand ich echt irre!
Aus dem 150 km entfernten Qarshi waren etwa zwanzig Leute, 4 große Fahnen und zwei Trommeln angereist. Zum erstenmal sah ich Auswärtsfans und so etwas wie "Fankultur". Polizisten riegelten den Block für andere Besucher ab. Dinamo hatte keine Supporter, die irgendwie auf sich aufmerksam machten. Nur vereinzelnd waren "Dinamo"-Rufe und eine Trommel zu hören.
Die Partie Dinamo - NASAF war durchaus nicht unwichtig. Nach dem 0:6 bei Pakhtakor brauchte Dinamo dringend Punkte, um den Abstieg zu verhindern und NASAF hätte theoretisch durchaus noch Meister werden können. Die 1. Hälfte vor etwa 4 000 Zuschauern war wirklich mies: Lahmes Gebolze, kaum Tor- szenen und ganz geringes fussballerisches Niveau. Dabei hätte man von NASAF durchaus mehr erwarten können, denn der Club sei - so hatte es mir Sher- zod im Zug gestern erzählt - der mit der spielerisch besten Mannschaft des Landes. Erst neulich hatten die den nationalen Pokal gewonnen.
In der Pause rannte alles wie auf Kommando zu der Teefrau oder unter die Stadionbrücke, wo Kuchen verkauft wurden. Die einzigst sinnvolle Alternative zur Stadionwurst.
Dinamo kam zur 2. Halbzeit wie ausgewechselt aus der Kabine. Die machten richtig Druck, wenn auch ungestüm und planlos. Doch beim dritten oder vierten Versuch bekamen die den Ball irgendwie über die Linie. Ein Müller-Tor aus spitzem Winkel! Nun mußte NASAF antworten und tat es auch: Zehn Minuten später fiel der Ausgleich. Das war es dann an nennenswerten Szenen. Usbekistan stand in der FIFA- Weltrangliste der Herren auf Position 74. Nach dem Spiel hätte ich sogar eine zweistellige Platzierung für möglich gehalten. Nur schlecht...!
Nach Abpfiff war die Straße vor dem Dinamo-Stadion gesperrt, damit die Zuschauer ungehindert abmarschieren konnten. Der Ground befindet sich im russ- ischen Teil Samarkands. Der besteht mal nicht ausnahmslos aus "Platte", sondern aus Häusern um 1880 - 1900 herum, als Samarkand vom Zaren kassiert und aufgebaut wurde, inkl. Bahnanschluß. Das geschah bestimmt nicht ohne Hintergedanken (Goldvorkommen usw.), doch ich mag mir das Land nicht vor- stellen, wie es ohne russische Einflußnahme heute aussehen würde. Im russischen Viertel fand ich Internet und nen Burgerladen. Damit war "alles Chicago"!.
Auf dem Weg zurück zum Hotel kam ich wieder am Registan vorbei. Doch der war weiträumig abgesperrt und konnte durch mich nur aus der Ferne betrachtet werden. Der Platz, umgeben von drei Medressen (so ähnlich wie Koran-Schulen), ist eindeutig und mit Abstand das überwältigendste Bauwerk-Ensemble, was ich je gesehen habe. Und schwerlich kann man sich vorstellen, das irgendetwas auf dieser Welt diesen Registan übertrumpfen könnte.
Tag 11
Heute war der einzige Tag auf der ganzen Tour, an dem ich nicht irgendwohin unterwegs sein sollte. Der Plan: Einfach in aller Ruhe in der Stadt bleiben und sich mit viel Zeit den überragenden Sehenswürdigkeiten Samarkands widmen, zwischendurch gut mal essen gehen und einfach nur mein Hiersein genießen.
Es sollte ganz anders kommen, denn höhere Kräfte waren am Werk. Als ich um 7 Uhr aufstand und die Tür nach draußen öffnete, um zum Frühstücksraum zu gelangen, traf mich fast der Schlag. Oder vielmehr ein Kälteschock. War es etwa 36 h zuvor in Buchara noch mindestens 25° C bei wolkenlosem Himmel gewesen, traf ich jetzt auf einen Tag, an dem das Thermometer auf 5° C gefallen war und der Regen nicht aufhören würde, sich über die Stadt zu ergießen.
Als ich mit Frühstück fertig war, kam der "Deutsche" von der Rezeption zu mir und meinte beiläufig, heute sei der Außenminister der USA, John Kerry, in Samarkand zu Besuch und es könnte sein, daß deshalb die ein oder andere Straße und der Registan abgesperrt wären. Macht nichts? Das war eine Scheiß-Katastrophe!
Ich machte mich gleich in der leisen Hoffnung auf die Socken, der ein oder anderen Absperrung zuvorzukommen und vielleicht doch noch auf den Registan zu gelangen. Doch was ich in den nächsten zwei, drei Stunden erlebte, gehört garantiert in die Top Five meiner Sammlung "Abgefahrene Situationen"! Die Stadt war leer. Leerer als Nukus und erst recht leerer als Buchara. Auf den Straßen fuhr kein einziges Fahrzeug. Es war nicht einmal ein parkender PKW o.ä. zu sehen. Alles wie weggezaubert! Auf den Gehwegen gingen ein paar Einheimische an Geschäften und Restaurants vorbei. Alles verriegelt und verrammelt! Etwa alle 50 - 80 m stand ein Polizist in Uniform und zumeist mit Funkgerät am Ohr. Schlimmer aber waren die Ordnungshüter in Zivil. Wollte ich z.B. mal eine Straße überqueren oder irgendetwas fotografieren, tippte mir schon bald jemand freundlich auf die Schulter und wedelte verneinend mit dem Zeigefinger vor meiner Nase. Diese Zivis waren überall. Ich hatte das Gefühl, sie könnten scheinbar aus dem Nichts auftauchen. Es war wie in einem schlechten Agentenfilm und ich kam mir hier sowas von fehl am Platze vor, wie selten zuvor.
Trotzdem ließ ich mir den Spaß nicht nehmen, frierend und planlos durch Samarkand zu laufen. Abseits der großen Verkehrsachsen stieß ich in den Seiten- straßen auf Straßenblockaden. Busse und alles was vier Räder hatte, war quergestellt worden, um jeglichen "Durchbruch" eines Fahrzeugs in den abge- sperrten Bereich der Innenstadt zu unterbinden. Jenseits dieser Grenze fuhren allerhöchstens ein paar Taxis, aber sonst war auch hier Sense. Das ich unterwegs das darniederliegende Spartak-Stadion ablichtete, mißfiel einigen Polizisten sehr. So mußte ich die Fotos auf der Kamera herzeigen, um meine Ungefährlichkeit zu beweisen. Auf Liebhaber von "Lost Grounds" hatte man sich in Usbekistan noch nicht eingestellt. Und alles wegen dem Kerry Gold. Ami, go home!
Gegen Nachmittag machte ich, nachdem ich mich zwischenzeitlich im Hotelzimmer aufgewärmt hatte, einen zweiten Versuch, zu den Sehenswürdigkeiten Samarkands vorzustoßen. Keiner konnte mir unterwegs sagen, wie lange diese Absperrung dauern würde. Immerhin hatte die direkt neben meinem Hotel gelegene Moschee Bibi-Khanum geöffnet. Also rein da! Das nährte in mir die Hoffnung, daß vielleicht auch das Observatorium von Ulug Beg, das etwas stadtauswärts lag, geöffnet haben könnte. Wenig später stieg ich aus einem Taxi in den strömenden Regen und begann die Stufen zum Observatorium hoch zu steigen, als schon ein Zivi hinter mir her gerannt kam. Nein, geschloßen heute!
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit unternahm ich den dritten Anlauf. Ziel: Das Gur Emir-Mausoleum, die Grabstätte von Timur bzw. Tamerlan. Geschlossen! Egal, war auch von außen äußerst eindrucksvoll.
Und plötzlich, fast schon nicht mehr erwartet, um Punkt 18 Uhr begann das Herz von Samarkand wieder an zu Schlagen. Autos rasten durch die Straßen und Menschen strömten auf die Straßen. Und endlich ging auch in den Restaurants und Internet Cafés die Lichter an. War der Ami wohl endlich fort!
Tag 12
Auch an diesem Tag hatte ich es eilig, aus dem Bett zu kommen. Der Registan mußte endlich gemacht werden. Welch unverzeihlichen Makel würde es bedeuten, diesen verpaßt zu haben. Diesmal ging, oh Wunder, alles glatt. Für etwa 4 EUR durfte ich endlich diesen einmaligen Ort betreten und sogar ungestört fotografieren. Nur fielen mir dabei fast die Finger ab, so kalt war es. Dabei verbindet man mit Samarkand ja eher Wüste, Karawanen und Kamele. Dieser Platz ist so beeindruckend, daß ich ohne zu zögern meinen Vorsatz "Einmal gesehen ist genug!" für den Registan über Bord werfen und nochmal herkommen würde. Aber dann im Sommer!
2.11.15 Pakhtakor Taschkent II – Aral Nukus 1:1
Im Taxi ließ ich mich zum Bahnhof bringen, wo um 11:45 Uhr mein Zug nach Taschkent ging. Dadurch, daß ich keine Fahrkarte für den Afrosiyob bekommen hatte und schon um 14:57 Uhr in der usbekischen Hauptstadt ankam, ergab sich für mich unverhofft die Möglichkeit, diesen am ersten Tag meiner Tour nicht gemachten, verfluchten Platz Chilanzarskoe pole von Pakhtakor II zu hoppen. Der Fußballgott war mit mir!
Am Bahnhof in Taschkent wurde ich von Forhad empfangen, der erst ab dem späten Nachmittag arbeiten mußte. Wir düsten ohne Umwege zum Ground, von dem ich nun ja genau wußte, wo er zu finden war.
Das Spiel war schon im Gange, aber das störte mich gar nicht. Zu Gast waren meine Freunde von Aral Nukus. Etwa zwanzig nichtzahlende Zuschauer konnte ich ausmachen, die sich um den Maschendrahtzaun herum versammelt hatten, um diesem Spiel der 2. Liga beizuwohnen. Ich finde es irgendwie irre, daß es eine Liga gibt, in der Mannschaften aus Städten kommen, die 800 km entfernt liegen und deren Spiele außer einer Handvoll obligatorischer Rentner und Schuljungs niemanden zu interessieren scheint. Ich war mal wieder viel zu sehr damit beschäftigt, Fotos und Filmchen vom Ground zu machen, so daß ich vom Spiel nicht allzuviel mitbekam. Behaupte mal, sensationelles hat sich nicht ereignet. Mit dem Schlußpfiff hatte ich mit dem Platz Chilanzorskoe pole den am weitesten von meiner Heimat entfernten Ground (4 763 km) gemacht und war sehr zufrieden mit meiner Ausbeute.
Forhad war so nett, mich in eine sehr moderne Shopping Mall zu schleifen, wo ich noch ein paar Mitbringsel organisieren konnte. Vielleicht wollte er mir, dem Westeuropäer zeigen, daß Taschkent nicht nur postsowjetisch, sondern inzwischen auch ganz modern kann. Er hat mich überzeugt. Beinahe wären wir gar nicht erst dort angekommen, denn auf dem Weg dorthin stand auf der drei- bis vierspurigen Straße plötzlich ohne Warnung ein (leeres) Auto und hätte ich Forhad nicht aus seinen Gedanken gerissen, wären wir garantiert mit Vollgas auf die Karre draufgefahren. Aaahhh.... Scheiße, so ein Glück gehabt! Da macht man sich manchmal Gedanken um irgendwelche Grounds, die man hoppt oder nicht hoppt, aber das eigentlich Wichtige wurde mir spätestens hier wieder bewußt: Gesund bleiben, vierfacher Familienvater!
Während Forhad im Rohat Hotel seinen Dienst antreten mußte, schleppte ich meine Sachen auf´s Zimmer im selbigen. Am Abend ging ich noch irgendwo was essen und besuchte das illuminierte Stadion von Bunyodkor. Ich hätte noch Gelegenheit gehabt, mich in Taschkent etwas umzusehen, doch ich war einfach nur platt und verkroch mich auf mein Zimmer.
Tag 13
Um zwei Uhr in der Früh erwartete mich Forhad im Foyer des Hotels und wir brausten, diesmal ohne Zwischenfälle, zum Flughafen. Forhad fragte, wann ich wieder nach Taschkent käme. Die Möglichkeit, ihn nach Deutschland einladen zu können, hatte ich ihm ausreden müssen. Ich sagte, bestimmt käme ich irgendwann wieder her. Und dann würden wir beide gemeinsam im Auto nach Kasachstan fahren, dann nach Almaty. Er grinste und war einverstanden.
Fazit: Obwohl ich fast zwei Wochen im Land war, hat die Zeit nicht ausgereicht, um auch nur das Allerwichtigste von Usbekistan kennenzulernen. Was ich gesehen habe, war faszinierend, teilweise verstörend aber oft auch wunderschön. Die Menschen, die mir über den Weg liefen, waren ohne Ausnahme sehr nett und hilfsbereit. Sollte ich eines Tages wiederkommen, würde ich unbedingt nach Termiz reisen und den dortigen Zoo besuchen. Nicht wegen der Tiere. Man hat von dort angeblich einen tollen Ausblick auf Afghanistan.