"Wenn Du ein Land kennenlernen willst, gehe nicht zu den Ausgrabungsstätten, sondern in die  Tavernen." Das habe er so oder so ähnlich einmal gelesen. Michael Höller hat den Spruch nur  etwas abgewandelt und ihn zu seinem Lebensmotto gemacht: "Statt Tavernen sind es bei mir eben Stadien."[Allgemeine Zeitung / Rhein Main Presse, 1.8.2015]


15.8.16   (5. Tag)

Morgens um etwa 2:30 Uhr kommen wir am Pekinger Hauptbahnhof an. Hunderte Passagiere strömen aus dem Zug in die Nacht. Auf dem Bahnhofsvorplatz liegen Reisende neben ihrem Gepäck auf dem Boden und schlafen. Solche Nerven möchte ich haben.



Weil die Metro um diese Uhrzeit schon längst nicht mehr fährt, steht den Taxifahrern wohl jede Nacht ein starker Umsatz bevor. Dementsprechend hoch ist die Verhandlungsbasis, um überhaupt erstmal in ein Taxi einsteigen zu dürfen. Wir müssen zu verschiedenen Ho(s)tels in jeweils verschiedene Richtungen und da bleibt uns nichts anders übrig, als in mehr oder weniger saure Äpfel zu beißen. Mich fährt ein Taxi, das bereits einen englischsprechenden Gast aufgenommen hatte, für 100 Yuan kreuz und quer durch die Stadt, um letztendlich doch noch "Dengshikou" zu lokalisieren und mich rauszulassen.

Nach ein paar Stunden Schlaf nutze ich die Zeit für Sightseeing. Ich möchte die Pekinger Hutongs kennenlernen. Einerseits sind Hutongs enge Gassen - so eine, in der auch mein Hotel steht und in der kaum Autos fahren können und alles etwas schmuddeliger und armseliger aussieht, als auf den großen Ver- kehrsachsen - andererseits sind die Pekinger Hutongs speziell die Reste des historischen Stadtkerns, die mehr und mehr aus dem Stadtbild verschwinden. Hinter kleinen einfachen Steinhäusern befindet sich in der Regel ein dachloser Innenhof, in dem sich wie schon seit Jahrhunderten das Leben der Bewohner abspielt. Zu den ursprünglicheren Hutongs gehört Nanluoguxiang, aber auch dort gibt es fast nur westliche Cafés, Imbisse und Geschäfte.









Workers Stadium.

Ein-Personen-Taxi.





Unweit der Metrostation Dongsishitiao liegt das Stadion des Erstligisten Guoan Beijing, das Workers Stadium. Es bietet 66 000 Besuchern Platz und ist um den frühen Nachmittag frei zugänglich, da sich rund herum Geschäfte befinden. Der Fan-Shop von Guoan hat nicht gerade ein breites Sortiment und teuer ist das Zeugs auch noch. Mir gelingen im Inneren des Stadions zwei Fotos, bevor mich ein Security-Mensch vertreibt.

Kontrastprogramm: Kreuze am Yonghegong Lama-Tempel auf, der wörtlich übersetzt "Palast des Friedens und der Harmonie" bedeutet. Hier gibt es mitten in der quirligen Stadt tatsächlich ein wenig Ruhe. Die Anlage ist über 250 Jahre alt und gilt als die am besten erhaltendste ihrer Art in Peking. Den Buddha soll man nicht fotografieren, kein Problem. Ich beobachte ein wenig die Gläubigen, die sich 3 oder 5 Räucherstäbchen kaufen und ihr Ritual vollziehen. Macht wirklich einen friedlichen Eindruck. Der ein oder anderen Religion könnte etwas von dieser Unaufdringlichkeit nicht schaden.





Polizeiwagen hängt am Strom.

Einkaufsstraße Wangfujing.



Skorpione: Hier krabbeln sie noch lebendig in der Luft...

...hier wartet eine andere Spezies verzehrfertig auf Kundenzungen.





Lotus-Wurzeln, sagt man.

Selbst diesem poppig aussehendem Glibberzeug traue ich nicht.

Ein Muss für jeden Peking-Touristen ist der Besuch eines Nachtmarktes, z.B. den in Wangfujing. Entlang einer Gourmetmeile werden wohl so sämtlich alle Perversitäten angeboten, die die heimische Küche zu bieten hat: Skorpione, Heuschrecken, Seepferdchen und Seesterne, Tausendfüssler, Seidenraupen und jede Menge undefinierbarer, in mir starken Ekel erzeugender Schlabber... Ein Trainingsparcour für zukünftige Dschungelkönige.


16.8.16   (6. Tag)

Noch ein sonnenreicher Tag steht mir in Peking bevor. Bei flimmernder Luft und drückender Hitze bewege ich mich vorsichtig durch die Schatten der Bäume in der Tempelanlage des Temple of Heaven. Das mir wichtigste Gebäude ist die "Halle der Ernteopfer", in der früher die Kaiser Chinas um eine gute Ernte beteten. Wirklich alles sehr schön! Im Park stehen Zypressen aus dem Mittelalter. Verrückt!

Mister Minit vom Ganyu Hutong.






Ein Abstecher in einen südwestlichen Außenbezirk wird mit einem kurzen Blick in das Beijing Fengtai Stadium belohnt. Kapazität: 31 000. Hier ist der Zweit-ligist Renhe Beijing FC beheimatet. Die Namenshistorie des Clubs (bei Wikipedia) dokumentiert das  beschriebene Dilemma des chinesischen Fußballs.


Beijing Fengtai Stadium



17.8.16   (7. Tag)

Um 9:05 Uhr rolle ich mit dem G395 und interessanten Eindrücken aus dem Bahnhof Beijingnan (...nan = Süd). Bisher resultierten meine "China-Erfahrungen" einzig und allein aus vier Tagen in Hong Kong. Der Aufenthalt dort war allerdings schon 1997, noch wenige Monate vor der Rückgabe der britischen Kron- kolonie an China. In den Amtsstuben hingen noch die Portraits von Queen Elizabeth II. Damals gab es in Hong Kong bereits viel Stahl und Glas, aber auch noch viel von dem, was ich in Peking vermißt habe: Geschäfte und Restaurants, die NICHT zu einer (westlichen) Firmenkette oder einem weltweit agieren- den Konzern gehörten, sondern von EINEM Eigentümer geführt wurden, so daß kein Laden wie ein Ei dem anderen glich.



 




Bin wieder fasziniert davon, wie schnell man in Chinas Zügen unterwegs ist. Die Streckenführung macht keine Kompromisse, man rauscht über unzählbare Brücken und durch nicht enden wollende Tunnel hindurch. Nach etwa 6 1/2 Stunden erreiche ich planmäßig die Endstation, den Bahnhof von Dandong.

Dandong ist mit seinen etwa 800 000 Einwohnern die größte und einzig wichtige Stadt entlang der 1 400 km langen Grenze zwischen China und Nordkorea, die meist durch unwegsame Bergregionen verläuft. Der Yalu River bildet auf seiner ganzen Länge einen Teil dieser Grenze.

Auf dem Bahnhofsvorplatz von Dandong: Nach vielen Lenins mein erster Mao!

Vermute, er blickt in Richtung Peking.

Angela inspiziert Wolfgangs Rollstuhl? Sehr merkwürdige Kiste, die als Platzhalter im Regal des Hotel-Shops dient.

Yalu River heißt auch mein Hotel. An der Rezeption versteht keiner auch nur drei Worte Englisch. Ich versuche nachzufragen, ob evt. meine bis heute 18 Uhr angekündigte Fahrkarte Dandong -> Pjöngjang schon abgegeben wurde. Meine Absicht, nach Nordkorea zu reisen, löst offensichtlich Verwunderung aus. Ich kann mit einer Frau aus dem Back Office telefonieren, die mein Anliegen versteht und sehr hilfsbereit ist. Sie versucht Kontakt zum Kurier herzustellen, doch das klappt nicht. Ich warte im Foyer und hoffe, daß sich bis 18 Uhr ein Wunder ereignet. Ohne Fahrkarte kann ich Nordkorea abhaken.

Pünktlich um 18 Uhr erscheint Mr. Jang und fragt nach mir. Jetzt kapiere auch ich. Nicht BIS 18 Uhr würde die Fahrkarte geschickt werden, sondern UM 18 Uhr bekomme ich die persönlich überreicht. Der Mann spricht bestes Englisch und erklärt mir kurz den Ablauf am Bahnhof = Grenze. Das Ticket der "Eisen- bahnen der Volksrepublik China" ist dreisprachig (Chinesisch, Russisch und sogar Deutsch) und einige Beträge sind - kaum zu glauben - in Schweizer Franken ausgewiesen. Sicher der kurioseste "Fahrausweis" meiner Sammlung. Das mir das gute Stück vom Schaffner später auf der Fahrt abgenommen wird, ahne ich schon. Dank meiner Voraussicht bleiben mir wenigstens diese Fotos:



Nun latsche ich erleichtert vom Hotel in Richtung Fluß. Dandong ist weniger schick als Peking, stinkt dafür deutlich mehr. Durch die Straßen schwanken  LKWs mit Übersee-Containern oder Maschinenteilen, in der Nähe des Flußufers kommt der Verkehr fast vollständig zum Erliegen.

Auf der erleuchteten Promenade sind für mein Empfinden - es ist ein gewöhnlicher Mittwochabend - überraschend viele Leute unterwegs. Dabei ist die Gegend nicht gerade romantisch und zu sehen gibt es nur zwei Brücken. Nein, es sind gar nur anderthalb Brücken! Aber weswegen alle hier sind, liegt auf der anderen Seite des Yalu Rivers: Nordkorea!



Die vielen chinesischen Touristen drängeln sich an der Sino-Korean Friendship Bridge, die von Autos und Zügen genutzt wird. Um 18:30 Uhr wird am chine-sischen Grenzposten die Flagge auf Halbmast gesetzt und die Besucher der zweiten, nur noch halb stehenden Brücke, müssen diese verlassen. Sie wurde im Koreakrieg zerstört, nicht wieder aufgebaut und dient heute als Gedenkstätte. Ob die Grenze über Nacht geschlossen wurde, weiß ich nicht. Die intakte Brücke steht noch voll von LKWs in Richtung Dandong.



Auf dem Fluß sind bunt beleuchtete Ausflugsbote zu sehen, die Touristen an den Rand des Wahnsinns (Achtung, Wortspiel !) bringen. Und überhaupt das Licht: Es teilt die Welt in hell & freundich und dunkel & unheimlich. Sogar auf der Freundschaftsbrücke hört die Freundschaft und die Illumination in der Mitte des Flusses auf.


Looking For Freedom? Bestimmt nicht!


Plötzlich erscheint etwa 50 m vom Ufer entfernt ein nur minimal beleuchtetes Boot. Das ist keines, das Touristen herumtuckert, sondern eine Patrouille der Nordkoreaner. An Deck sitzen viele Uniformierte regungslos auf Stühlen und blicken zu uns herüber. Gespenstisch! Es läßt mich spontan an einen verstumm- ten Gesangsverein aus Wachspuppen denken. Einige Chinesen winken und jubeln zur Bootsbesatzung hinüber. An Bord zuckt keine Wimper. Und so urplötz- lich es aufgetaucht war, so ist das Boot auch wieder verschwunden.



Die Souvenirhändler vor Ort bieten einiges an "nordkoreanischen" Waren an, von denen ich "drüben" später fast kaum etwas entdecken kann. Besonders häufig im Angebot: Komplette Sätze der nordkoreanischen Währung, dem Won, in dazu passenden Mäppchen und Anstecknadeln mit Motiven, die Bezug zum Nachbarland haben. Um am nächsten Tag keine Probleme mit dem Zeugs bei der Einreise zu haben, lasse ich vorerst die Finger davon.




18.8.16   (8. Tag)

Endlich ist es soweit. Die letzte Etappe auf dem Weg nach Pjöngjang kann in Angriff genommen werden. Innerlich bin ich tatsächlich etwas aufgewühlt, da ich so gar nicht einschätzen kann, was da in den nächsten Tagen auf mich zukommen wird. Zuletzt hatte ich so ein komisches Gefühl vor dem ersten Abflug nach Teheran.

Um 8:30 Uhr wird im Bahnhof Dandong die Treppe, die in den ersten Stock zur Zollabfertigung führt, freigegeben. Eine halbe Stunde später kommen ein paar Zöllner in weißen Hemden und lassen alle bisher eingetroffenen Reisenden über eine Waage laufen. Zum Glück wird man nicht selbst gewogen, sondern nur das, was man an Gepäck aufgibt.

Knapp ein Dutzend Händler sind da und zerren große, zum Teil sehr unförmige Pakete zur Waage. Alles wird genau notiert. Auf der anderen Seite schleppen Männer in hellblauen Hemden die Dinger zur Zollkontrolle und dann weiter in Richtung wartenden Zug. Ich wundere mich, warum die Zöllner die schwere Arbeit selber machen und es nicht die Aufgabe der Händler ist, ihren Kram zum Zug zu transportieren. Später kapiere ich, daß die Weißhemden Chinesen und die Blauhemden Nordkoreaner sind. Klar, die kann man schuften lassen. Jeder Nordkoreaner trägt übrigens einen roten Pin, der als Anerkennung der eigenen Leistung fürs Vaterland verliehen wird. So ist es hier am Bahnhof und später im Zug immer ganz leicht, Chinesen von Nordkoreanern zweifelsfrei zu unter-scheiden.

Mittlerweile ist die Halle am Zoll voll mit Asiaten. Tippe, etwa 80 - 90% der Reisenden gehören zu organisierten Touristengruppen aus China. Dazu ein paar Händler und Individualreisende. Ein Mann neben mir will wissen, wo ich herkomme. Erst als ich auf ein Stück Papier einen Mercedes-Stern male, versteht er. Am Schalter bekomme ich meinen Reisepass abgenommen und werde angewiesen, in den Zug zu steigen.

Der Zug besteht aus etwa sechs bis acht Waggons, die vermutlich in Russland produziert wurden. Außen prangt über dem Zugzielschild deutlich das Staats- wappen von Nordkorea. Einmal ist komisch, daß man für diese Fahrt, die stets nur tagsüber durchgeführt wird, in einem Liegewagen mit frischer Bettwäsche untergebracht wird. Zweitens ist komisch, daß die Abteile gar keine Türen haben. Vermutlich die einzigen weltweit dieser Art?!

Bald gesellt sich Florin zu mir ins Abteil. Er ist neben mir der einzige Europäer im Bahnhof, ist etwa in meinem Alter und stammt aus Rumänien. Florin arbeitet in Fargo, North Dakota, als Professer an der State University. Wir beide sind froh, einander begegnet zu sein und so die nächsten Stunden bis nach Pjöng- jang gemeinsam zu verbringen. Das wir Plätze im gleichen Abteil haben, ist sicher kein Zufall. Wie später auch, ist überall in Nordkorea eine "Konzentration" von Ausländern festzustellen.



Irgendwann werden alle Passagiere aufgefordert, auszusteigen und sich auf dem Bahnsteig aufzustellen. Danach werden die Reisenden einzeln mit Namen aufgerufen und wieder in den Zug gelassen. Bei dieser Gelegenheit bekommt man seinen Reisepass zurück.



Pünktlich um 10 Uhr nochwas verläßt der Zug Dandong und fährt laaangsam über die Freundschaftsbrücke, um Augenblicke später auf der anderen Seite des Yalu Rivers im Bahnhof von Sinuiju wieder zum Stillstand zu kommen. Jetzt gibt es kein Zurück mehr! Am Bahnhof stehen uniformierte Nordkoreanerinnen und salutieren. Ob uns oder dem anrückenden Trupp Zöllner ist unklar. Geschlagene zwei Stunden werden wir hier stehen. Alles in allem komme ich so zu meinem bisher zeitaufwendigsten Grenzübertritt.

Das erste Kommando rennt durch die Zug und checkt die Reisenden kurz per Sichtkontrolle. Dann wird von drei Grenzern jeweils eins von drei verschiedenen, zuvor ausgehändigten und ausgefüllten Formularen eingesammelt. Eines davon ist nur auf Koreanisch und Chinesisch, aber da hatte der Reiseveranstalter vorgesorgt und eine Ausfüllhilfe mitgeschickt. Nun bekommt jeder Besuch von einem peniblen Kontrolleur abgestattet. Etwa fünf Minuten verbringe ich mit ihm allein im Abteil, alle anderen Passagiere haben sich zu verdrücken. Er läßt mich meinen Rucksack komplett ausräumen und schaut sich besonders intensiv meine Druckwerke (u.a. einen unverfänglichen Roman über Indien) an. Verärgert hält er ein durchsichtiges Plastikbeutelchen mit acht leeren SD- Speicherkarten gegen das Licht - als könne er so sehen, was drauf ist. Kann er natürlich nicht und so reicht er das Beutelchen plus Kamera plus entsperrtem Handy einem weiblichen Special Agent (ihre Uniform hebt sich deutlich von allen anderen ab). Beide verschwinden! Meine Reisetasche bleibt unberührt. Etwas später bekomme ich die Speichermedien kommentarlos zurück. Ich kann nicht erkennen, daß irgendetwas gelöscht wurde.

Wer eine Rauchen will, kann den Zug verlassen und auf dem Bahnsteig qualmen. Oder man kann sich die Beine vertreten und bei einer der netten Verkäufer- innen ein Wasser oder einen Snack (z.B. getrockneten Fisch, Konsistenz: Schuhsohle) erwerben.

Der gewissenhafte Reisende stellt spätestens jetzt seine Uhr um eine halbe Stunde vor. Diese besondere Nordkorea-Zeitzone gibt es seit einem Jahr. Hinter-grund: Man will sich von der Zeitzone trennen, die einst die Imperialisten (= Japan) eingeführt hatten. In einem anderen Jahrtausend lebt man in Nordkorea sowieso. Seit 1997. Nach dem Tod des Staatsgründers Kim Il Sung gilt dessen Geburtsjahr 1912 als das Juche-Jahr 1. "Juche" spricht man "Dschudsche" aus und meint die Ideologie Nordkoreas (dazu später mehr). "Nordkorea! Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr Juche 105. ..." Ähnlichkeiten mit den ersten Sätzen einer amerikanischen SiFi-Serie wären rein zufällig.

Irgendwann ist auch die längste Zollkontrolle zu Ende und mit einer Verspätung von 40 Minuten (lt. Fahrplan) geht es gen Süden. Für die knapp 180 km nach Pjöngjang brauchen wir vier Stunden. Das geruhsame Fahrtempo ist geboten! Wenn man sich die Schienen anschaut, wird es einem anders. Wo sonst stramm verschraubte Klammern die Gleise am Gleiskörper festhalten, sieht man hier manchmal nur scheinbar provisorisch eingeschlagene Nägel. Wie die Schienen dabei ihre Position behalten können, ist mir ein Rätsel.

Florin und ich sind uns sehr unsicher darin, ob wir aus dem Zug heraus fotografieren dürfen. Was ist, wenn wir es tun und es eigentlich nicht dürften? Oder was ist, wenn man was ablichtet, was bei der Ausreise dem Kontrollgremium mißfällt? Die Mitreisenden sind uns da auch keine Entscheidungshilfe: Von den Chinesen hat seit der Überquerung des Yalu Rivers keiner mehr ein Handy oder eine Kamera in der Hand. Ich belasse es bei sechs Landschaftsfotos.



Dabei bekommen wir viel mehr zu sehen: Nordkorea präsentiert sich als sehr grün. Jede dafür geeignete Fläche scheint landwirtschaftlich genutzt zu werden, vor allem für Reis und Mais. Auf den Feldern sieht man nur vereinzelt mal jemanden arbeiten. Maschinen oder gar Traktoren sind nicht im Einsatz. Ein Bus steht mitten in einem flachen Fluß und wird von seinem Fahrer gewaschen. Drumherum baden und plantschen kleine Kinder. Die Menschen sind zu- meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs. Vereinzelte Lastwagen wirbeln auf unbefestigten Straßen riesige Staubwolken auf. In den Dörfern oder auf kleinen Anhöhen sieht man immer wieder den gleichen, für Florin und mich unverständlichen Propagandaspruch. An jedem der kleinen Bahnhöfe, wie überall sonst im Lande auch, strahlen einem der Ewige Präsident Kim Il Sung und sein Sohn, Generalsekretär Kim Jong Il entgegen. 

Um kurz vor 17 Uhr erreichen wir Pjöngjang Hauptbahnhof. Wir steigen aus und gucken uns um. Florin wird direkt von seinen, ich etwas später von meinen Guides abgefangen. Ein alter Mann und eine junge Frau, beide der deutschen Sprache mächtig, geleiten meine Sachen und mich zu einem Wagen, der uns gemeinsam innerhalb von fünf Minuten zum Hotel bringt.


Ich bekomme ein Zimmer im 11. von insgesamt 44 Stockwerken des zweiten Turms. Später erfahre ich, daß viele der Stockwerke über mir dunkel, zweckent- fremdet oder unbewohnt sind. Wenn man sich so umschaut, schätze ich grob ab, daß mehr Gäste als für 4 - 5 Stockwerke eines Turmes derzeit nicht da sind. Das Koryo ist eines von zwei "Ausländerhotels". Ein drittes steht in Form einer riesigen Pyramide mitten in der Stadt. Lange Zeit tat sich am Rohbau gar nichts, ehe irgendwelche Scheichs für die verglaste Außenfassade sorgten. Jetzt ist wieder Ruhe. Offizielle Sprachregelung: Projekte für die eigene Bevöl-kerung werden vorrangig vorangetrieben.



Die Einrichtung des Zimmers ist voll OK. Laut Reiseveranstalter gibt es keine Abhörwanzen. Als Tourist sei man nicht interessant genug. Da ich keinen Mit- bewohner vollquatschen kann, dürfte das für mich nicht relevant sein. Das Badezimmer versprüht wegen seiner Wände und Decke aus Kunststoff den Charme einer Nasszelle im Krankenhaus. Der eigentliche Luxus steckt im Wasserhahn: Es gibt rund um die Uhr kaltes und warmes Wasser! 



Ich schaue für einige Augenblicke aus meinem gemütlichen Hotelzimmer hinaus in eine graue Stadt. Alles ist grau: Die Häuser, Straßen, Schornsteine und der Dreck, der aus ihnen kommt. Die ganz wenigen Farbtupfer besorgen Propagandaplakate. Keine Werbetafeln, keine Leuchtreklame. Ich kann den Eingang in eine U-Bahn-Station sehen. Menschen kommen aus der Tiefe nach oben oder verschwinden darin. Sie alle sehen anders aus, als die üblichen Menschen einer Großstadt. Es hat mit ihrer Kleidung zu tun. Dabei ist die gar nicht ganz einheitlich, wie es wohl noch vor 20 Jahren war. Und doch fehlt ihnen die Individualität. Jeans sind übrigens verboten.


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